Antikörper erkennt Schwachstelle vieler Grippeviren

Im Labor erzeugte monoklonale Antikörper könnten bei einer Grippeinfektion - unabhängig vom Virustyp - eingesetzt werden
H5-Hämagglutinin (HA1 + HA2, gelb + blau) mit gebundenem Antikörper (F10, rot)
H5-Hämagglutinin (HA1 + HA2, gelb + blau) mit gebundenem Antikörper (F10, rot)
© William Hwang and Jianhua Sui
Boston (USA) - Grippeinfektionen lösen die Bildung von Antikörpern aus, die gegen Proteinstrukturen der Virushülle gerichtet sind. Doch jede Grippewelle wird von anderen Typen von Influenzaviren ausgelöst, die jeweils unterschiedliche Hüllproteine besitzen. Jetzt ist es amerikanischen Forschern gelungen, menschliche Antikörper herzustellen, die gegen zahlreiche Virustypen gleichermaßen wirksam sind. Sie greifen nicht an dem variablen, sondern an einem nicht veränderlichen Teil des Hüllproteins Hämagglutinin an. Im Tierversuch ließ sich damit die Vermehrung verschiedener Typen des Influenzavirus A - darunter auch das Vogelgrippevirus - blockieren. Mit den neu entwickelten Antikörpern könnte man möglicherweise zu Beginn einer Grippeepidemie besonders gefährdete Menschen so lange schützen, bis ein Impfstoff zur Verfügung steht, schreiben die Wissenschaftler im Fachjournal "Nature Structural & Molecular Biology".

"Wir haben eine weitgehend gleich bleibende Region des Influenza-Hämagglutinin-Proteins identifiziert, gegen die der Mensch kaum Antikörper produziert", sagt Wayne Marasco vom Dana-Farber Cancer Institute in Boston. Das Hämagglutinin-Molekül der Virushülle besitzt eine äußere Kopfstruktur, die sehr variabel ist und das Immunsystem zur Produktion von Antikörpern veranlasst. Dagegen ist eine jetzt entdeckte innere Molekülregion bei 8 von 16 Hämagglutinin-Subtypen gleich und wird vom Immunsystem meist nicht erkannt. Aus einer großen Zahl im Labor erzeugter monoklonaler Antikörper identifizierten die Forscher zehn Moleküle, die sich an das Vogelgrippevirus H5N1 anlagerten. Drei davon reagierten auch mit anderen Influenza A-Viren, darunter das H1N1-Virus des rekonstruierten Erregers der Spanischen Grippe von 1918. Wenn sich der monoklonale Antikörper an die Virushülle anlagert, verhindert er die Infektion der Wirtszelle, wie Experimente mit Zellkulturen und Mäusen zeigten. Gegen H3- und H7-Subtypen des Influenzavirus sind die erzeugten Antikörper unwirksam. Aber auch diese Erreger besitzen Hämagglutinine mit einer konstanten Molekülregion, gegen die Antikörper erzeugt werden könnten.

Offenbar spielt die konstante Molekülregion des Hämagglutinins für die Infektion eine so wichtige Rolle, dass eine Veränderung durch Mutationen mit großen Nachteilen für das Virus verbunden wäre. Es traten keine Mutationen auf, durch die die Viren gegen die Antikörper resistent geworden wären. Die neuen Forschungsergebnisse könnten sich auch als nützlich erweisen, um einen Impfstoff herzustellen, der gegen sämtliche medizinisch relevanten Typen von Influenzaviren wirksam ist. Ein solcher Impfstoff müsse eine Immunantwort gegen die konstante Region der Hämagglutinine auslösen und könnte so vielleicht lebenslang vor einer Grippe schützen, sagt Marasco. Mit ersten klinischen Studien sei nicht vor 18 Monaten zu rechnen. Bis zur Zulassung eines allgemein verfügbaren Präparats dürften noch einige Jahre vergehen.

Bei jeder neuen Grippepandemie dauert es einige Monate, bis ein speziell an den jeweiligen Virustyp angepasster Impfstoff zur Verfügung steht. Zur Überbrückung könnten die monoklonalen Antikörper zusammen mit antiviralen Medikamenten eingesetzt werden, um Menschen mit geschwächtem Immunsystem, Familienangehörige von Erkrankten und medizinisches Personal zu schützen.

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Quelle: "Structural and functional bases for broad-spectrum neutralization of avian and human influenza A viruses", Jianhua Sui et al.; Nature Structural & Molecular Biology, Online-Publikation, DOI: 10.1038/nsmb.1566


 

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