Antidepressivum in der Schwangerschaft – erhöhtes Risiko für Autismus

Insbesondere die sogenannten Selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer könnten die normale Hirnentwicklung des ungeborenen Kindes stören
Jungen erkranken häufiger an frühkindlichem Autismus als Mädchen.
Jungen erkranken häufiger an frühkindlichem Autismus als Mädchen.
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Montreal (Kanada) - Die Einnahme eines Antidepressivums in den letzten sechs Monaten der Schwangerschaft ist mit einem etwa zweifach erhöhten Autismusrisiko für das Kind verbunden. Das berichten kanadische Mediziner im Fachblatt „JAMA Pediatrics”. Ihre Studie weist zwar keinen ursächlichen Zusammenhang nach. Allerdings deuten die Resultate stark darauf hin, dass die Medikamente die normale Hirnentwicklung des ungeborenen Kindes beeinträchtigen könnten. Denn zum einen ergab sich kein derartiger Zusammenhang, wenn die Antidepressiva vor Beginn oder im ersten Drittel der Schwangerschaft eingenommen wurden – die kritische Phase der Hirnentwicklung beginnt erst nach dem 3. Schwangerschaftsmonat. Zum anderen war diese Beziehung speziell für eine Medikamentengruppe – die sogenannten Selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) – besonders stark ausgeprägt. Daher lässt sich das Ergebnis nicht einfach auf gemeinsame genetische Ursachen von Depression und Autismus zurückführen.

„Es wäre biologisch plausibel, dass Antidepressiva aus der Gruppe der Selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer Autismus verursachen, wenn sie in der Phase der Hirnentwicklung des Kindes eingesetzt werden”, sagt Anick Bérard von der University of Montreal. „Denn Serotonin ist an zahlreichen Entwicklungsprozessen beteiligt, unter anderem an der Bildung von Synapsen, den Verbindungsstellen zwischen den Hirnzellen.” Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer zählen zu den am häufigsten gegen Depressionen verschriebenen Medikamenten. Sie blockieren die Wiederaufnahme des von Nervenzellen an den Synapsen ausgeschütteten Botenstoffs Serotonin, was die Konzentration dieses Neurotransmitters erhöht.

Bérard und ihre Kollegen werteten Daten von 145.456 Kindern aus, die nach normaler Schwangerschaftsdauer zwischen 1998 und 2009 in der Provinz Quebec geboren worden waren. Davon entwickelten 0,7 Prozent eine autistische Störung in einem Beobachtungszeitraum von durchschnittlich sechs Jahren nach der Geburt. Betroffen waren viermal mehr Jungen als Mädchen. Etwa 4700 Frauen hatten in der Schwangerschaft mindestens ein Medikament gegen Depressionen eingenommen. Lag die Zeit der Medikamenteneinnahme im zweiten oder dritten Trimester der Schwangerschaft, erhöhte sich das Autismusrisiko für das Kind um 87 Prozent gegenüber den nicht behandelten Frauen. Die Einnahme von Antidepressiva in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft oder im Jahr davor beeinflusste das Krankheitsrisiko nicht. Für diejenigen, die in den letzten beiden Trimestern der Schwangerschaft mit SSRI behandelt worden waren, stieg dieses Risiko sogar um mehr als hundert Prozent. Bei der statistischen Auswertung wurde das Alter der Frauen berücksichtigt, und ob es Vorbelastungen für Depressionen in der Familie gab. Daten über die Dosierung der eingenommenen Medikamente standen nicht zur Verfügung.

Es sei eine schwierige Abwägung zwischen Nutzen und Risiken, wenn es darum geht zu entscheiden, ob Schwangere bei Depressionen mit Antidepressiva behandelt werden sollten oder nicht, schreibt Bryan King vom Seattle Children's Hospital in einem begleitenden Kommentar. Denn bekanntlich würden unbehandelte Depressionen die Wahrscheinlichkeit für eine Frühgeburt und für psychische Störungen des Kindes erhöhen. Daher seien jetzt weitere Studien nötig, die die Wirkung verschiedener Medikamente vergleichen und unterschiedliche Dosierungen berücksichtigen.

Frühkindlicher Autismus ist eine Entwicklungsstörung, die sowohl genetische als auch umweltbedingte Ursachen hat. Die Erkrankung führt zu einer gestörten Wahrnehmung und Informationsverarbeitung, was sich auf die Kommunikation und das Sozialverhalten auswirkt. Eine milde Form autistischer Erkrankungen ist das Asperger-Syndrom.

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