Ansaugerfische: Haarige Saugnäpfe haften bombenfest

Dank feiner Härchen können sich die Tiere auch an sehr rauen oder glitschigen Oberflächen halten - selbst bei starkem Wellengang
Rand der Haftscheibe in Feinstruktur, unter dem Elektronenmikroskop in 27-, 300-, 1300- und 3000-facher Vergrößerung (im Uhrzeigersinn).
Rand der Haftscheibe in Feinstruktur, unter dem Elektronenmikroskop in 27-, 300-, 1300- und 3000-facher Vergrößerung (im Uhrzeigersinn).
© Dylan Wainwright
Friday Harbor (USA)/Kiel - Ein kleiner Fisch im Nordpazifik kann, was den besten technischen Saugnäpfen nicht gelingt: Er haftet bestens an rauen Felsen oder auch glitschigen Steinen, berichten Forscher aus den USA und Deutschland. Der Schildfisch der Art Gobiesox maeandricus, auch Ansauger oder Schildbauch genannt, hat Teile seiner Bauch- und Brustflossen zu einer Haftscheibe umgebildet. Damit kann er sich an der rauen Nordwestküste der USA an Felsgestein festsaugen, ohne von starken Strömungen oder brechenden Wellen mitgerissen zu werden. Wie stark seine Haftung dabei ist, hat das Forscherteam jetzt an verschiedenen Untergründen untersucht. Wie im Fachblatt „Biology Letters“ berichtet, schnitten die Fische im direkten Vergleich mit Saugnäpfen fast immer besser ab. Mit der Erkenntnis, was die tierische Haftscheibe so wirkungsvoll macht, dürften künftig auch technische Saugnäpfe besser kleben bleiben.

„Wir stellten fest, dass Ansaugerfische gleichermaßen gut an allen Oberflächen haften konnte – außer an der glattesten“, schreibt das Team um Dylan Wainwright, damals an der University of Washington, und Thomas Kleinteich von der Universität Kiel. Bei glattem Glas waren die Saugnäpfe unschlagbar, was sich später aus der Haftflächenstruktur erklärte. Wainwright und Kleinteich hatten gemeinsam mit Kollegen der Duke University in North Carolina die Haftkraft dieser Fischart vermessen und die Haftfläche näher untersucht. Bei den nur maximal 16 Zentimeter langen Schildfischen sind Flossen am Bauch zu einer runden Fläche zusammengewachsen, mit dem Durchmesser eines Waschbeckenstöpsels. Deren Unterseite ist nicht glatt, sondern leicht knubbelig, und an den Rändern mit feinen Härchen ausgestattet. Wenn der Fisch sich festsaugen will, schwimmt er an eine Oberfläche und presst mit einer kurzen Hüftbewegung das Wasser unter der Scheibe heraus, das durch zwei feine Kanäle abfließen kann. Danach haftet er mit dem bis zu 230-Fachen seines Körpergewichts fest – bis er den Unterdruck unter der Scheibe wieder löst. Dabei stört es wenig, ob der Untergrund dabei rau ist wie Schleifpapier, muschelverkrustet oder gar mit glitschigen Algen bewachsen.

Am lebenden Objekt konnten die Forscher dies allerdings nicht untersuchen, denn im Experiment drückten sie abwechselnd Fische und Saugnäpfe an verschiedene Oberflächen, was zur Tierquälerei ausgeartet wäre. Zu ihrem Glück hatten andere Studien zuvor ergeben, dass Ansaugerfische selbst nach ihrem Tod noch 96 Prozent ihrer Haftkraft behalten. So arbeitete das Team mit 22 kürzlich verstorbenen Fischen aus dem Ozean: Bei 7 bis 12 Zentimeter Länge maßen die Flächen ihrer Haftscheiben von 3,9 bis 12,3 Quadratzentimeter, während die Haftflächen der getesteten Kunststoff-Saugnäpfe zwischen 3,6 und 15,2 Quadratzentimetern rangierten. Als Testgrund erstellten die Forscher acht Oberflächen mit unterschiedlicher Rauigkeit – von feinem bis zu sehr grobem Sandpapier und von einer Glasfläche erstellten sie Duplikate aus Epoxydharz, um verfälschende Unterschiede in Materialfeuchte, Temperatur oder auch chemischer Bindungsfreudigkeit auszuschließen. Diese Scheiben lagen unter einer fünf Zentimeter hohen Wasserschicht. Vergleichbar stark drückten die Forscher Fische und Saugnäpfe darauf und eine geeichte Maschine maß, wie viel gleichmäßiger Zug nötig war, um die Haftkraft zu überwinden.

Das Ergebnis war ebenso eindeutig wie überraschend, berichtet Wainwright: Kunststoff-Saugnäpfe hafteten nur auf den drei glattesten Oberflächen, bis zu einer Rauigkeit oder Korngröße von 35 Mikrometern – auf Glas und feinstem Schleifpapier. Bei gröberen Strukturen versagten sie völlig. Die Fische hingegen hafteten durchgehend gut, sogar bei einer Korngröße von rund 270 Mikrometern – grobem Schleifpapier mit Körnung 40. Überraschend war aber, so die Forscher, dass die Saugnäpfe dort stärker hafteten, wo sie hafteten: es brauchte eine Kraft von bis zu 70 Kilopascal, um sie von glatten Flächen abzuziehen. Die Fische hingegen erreichten durchgehend eine Haftkraft um die 40 Kilopascal, auf dem simulierten Glas aber nur rund 30 Kilopascal. Der Unterdruck unter ihrer Haftscheibe muss bei 0,2 bis 0,5 Bar liegen, berechnete das Team.

Die Erklärung zeigte sich unter dem Elektronenmikroskop (SEM): Die Haftscheiben der Fische, die schon mit bloßem Auge leichte Hubbel zeigen, besitzen den ganzen Rand entlang feine Härchen von 2 Mikrometern Durchmesser, sogenannte Mikrovilli, die sich an der Spitze noch feiner aufspalten. Auf den ersten Blick wirkt dies wie die ähnlich feinen Hafthärchen von Geckos und Spinnen, die an glatten Oberflächen entlanglaufen und von der Anziehungskraft der sogenannten Van-der-Waals-Kräfte profitieren. Diese Wechselwirkungen sind bei den Fischen aber wohl nicht am Werk, so die Wissenschaftler, denn sie sind üblicherweise von einer Schleimschicht bedeckt, die dies verhindern dürfte. Vergleichsexperimente mit simuliertem Schleim bestätigten die Annahme.

Stattdessen wirken neben dem Unterdruck offenbar Reibungskräfte, was auch das schlechte Abschneiden der Fische am glatten Glas erklärt: Der haarige Rand der Haftscheibe dichtet diese auf rauer Oberfläche erstens nach außen hin ab und gleicht Höhenunterschiede aus. Zweitens sorgen sie dafür, dass beim Abziehen die Ränder der Scheibe nicht schnell nach innen rutschen und so den Unterdruck zerstören, weil Wasser einströmt. Die glatte Glasoberfläche allerdings minimiert die Reibungskräfte und die Härchen rutschen schneller nach innen. Im Vergleich dazu haften Kunststoffsaugnäpfe auch deshalb stärker auf glattem Grund, weil sie vom Material her steifer sind und es mehr Kraft braucht, die Ränder nach innen gleiten zu lassen.

Was die Forscher von den Ansaugerfischen gelernt haben, bietet Verbesserungsmöglichkeiten in der Medizin, der Industrie und im Haushalt, schreibt das Team: „Diese Haftmethode ist schnell, umkehrbar und funktioniert gut unter Wasser.“ Bereits leichte Veränderungen in der Randstruktur von Saugnäpfen dürften die Haftkraft erhöhen.

© Wissenschaft aktuell


 

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