Als Autismus noch ein Vorteil war

Der Erfolg "einsamer Sammler" in der Altsteinzeit dürfte sich durch die Evolution hindurch im Erbgut erhalten haben
Los Angeles (USA) - Während Autismus heute als Krankheit gilt, könnte er in früher Vorzeit beim Überleben geholfen haben. Ähnlich wie Einzelgänger in der Tierwelt könnten Menschen damals in karger Natur systematisch ihre Nahrung gesammelt haben, ohne sie mit anderen teilen zu müssen. Diese Hypothese untermauert ein US-Forscher jetzt, indem er die Vorteile des in sich gekehrten, beharrlichen Handelns beleuchtet. Wie er im Fachblatt "Evolutionary Psychology" aufzeigt, dürfte sich der Autismus deshalb im Laufe der Evolution in den Genen erhalten haben - als eine von verschiedenen menschlichen Verhaltensweisen.

"Die Neigung zum Zwanghaften, Wiederholten und Systematischen beim Autismus, die sich heute fälschlicherweise auf Aktivitäten wie Klötzchenstapeln richtet, könnte in der Vorzeit durch Hunger und Durst auf erfolgreiche Nahrungssuche fokussiert worden sein", schreibt Jared Reser, Hirnforscher und Psychologie-Doktorand an der University of California, Los Angeles. Schließlich seien Autisten körperlich und geistig durchaus in der Lage, die Fertigkeiten eines Jägers und Sammlers zu erlernen und zu verfeinern. Da sie aber heute ihre Nahrung vorgesetzt bekämen, richte sich ihre Lernfähigkeit und das systematische Tun auf weitgehend sinnfreie Aktivitäten wie Türmchenbauen, Lichtschalter-Knipsen oder das Sammeln und Ordnen von Flaschendeckeln. In der Tierwelt gibt es zahlreiche Arten, selbst unter Menschenaffen, die ihr Leben außerhalb der Paarungszeit weitgehend als Einzelgänger verbringen. Sie leben vor allem in Regionen, in denen Nahrung nicht üppig vorhanden ist und erst beharrliches Suchen oder Bejagen den Bauch füllt. Intensive soziale Kontakte und damit mehr Individuen pro Gebiet sind dabei eher von Nachteil.

Extremes Verhalten kann das Überleben sichern

Demnach ist der "Autismus-Vorteil", wie Reser ihn nennt, eine manchmal nützliche psychologische Veranlagung, die sich im Laufe der Jahrmillionen erhalten habe. Sowohl einzelgängerische Tiere als auch autistische Menschen, erklärt Reser, zeigen reduzierte Mimik und wenig Emotionen, sie meiden Augenkontakt sowie Geselligkeit und Sozialkontakte und benötigen weder Zuneigung noch Streicheleinheiten. Der Forscher schließt aus seinen Untersuchungen, dass unterschiedliche Gruppengrößen bei den Frühmenschen in unterschiedlich reichhaltiger Natur im Laufe der Zeit die große Bandbreite sozialer Verhaltensweisen und Fähigkeiten beim Menschen hervorgebracht habe.

Im Jahr 2008 hatten US-Forscher aufgezeigt, dass auch das andere extreme Ende des Verhaltensspektrums einst überlebenswichtig gewesen sein könnte: Während sich das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom ADHS bei sesshaften Menschen eher störend auswirkt, weil es permanent für Impulsivität, Neugierde und Unruhe sorgt, ist es für Nomadenvölker von Vorteil. Die permanente Hibbeligkeit als genetische Veranlagung führt zu einer hohen Aufmerksamkeit gegenüber allen Umweltveränderungen, berichtete damals das Team der Northwestern University, also auch dem Nähern von Feinden und Raubtieren.

(c) Wissenschaft aktuell
Quelle: "Conceptualizing the Autism Spectrum in Terms of Natural Selection and Behavioral Ecology: The Solitary Forager", Evolutionary Psychology; Jared Edward Reser, 2011; Bd. 9 (2), S. 207-238


 

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