Action-Videospiele gegen Leseschwäche

Neue Methode könnte helfen, Aufmerksamkeitsstörungen und daraus folgende Legasthenie spielend zu bekämpfen
Videospiele gelten mitunter als bedenklicher Zeitvertreib, könnten aber auch helfen.
Videospiele gelten mitunter als bedenklicher Zeitvertreib, könnten aber auch helfen.
© Current Biology, Franceschini et al.
Padua (Italien) - Wie viel ist zu viel, welche Spiele sind akzeptabel, welche schlecht für ein Kind? Videospiele sind ein gesellschaftliches Reizthema, und besonders die actionlastigen unter ihnen stehen immer wieder im Verdacht, der kindlichen Entwicklung zu schaden. Gerade diese Spiele könnten aber laut neuesten Untersuchungen positiven Einfluss auf Kinder nehmen, die unter Leseschwäche leiden. Etwa zehn Prozent aller Heranwachsenden sind von dieser neuronalen Entwicklungsstörung betroffen, die bisherigen Behandlungsmethoden sind zeitaufwendig und teuer. Mit den Videospielen wäre nun jedoch eine Trainingstechnik gefunden, die kostengünstig und sogar mit Spaß zu schnellen Verbesserungen des Lesevermögens beitragen kann. Nur wenige Stunden des Spiel-„Trainings“ vorm Bildschirm führten laut einer Studie italienischer Forscher zu bemerkenswerten Verbesserungen der Lesegeschwindigkeit. Damit ist die Vermutung bestätigt, dass Leseschwäche und Störungen der visuellen Aufmerksamkeit miteinander zusammenhängen, schreiben die Wissenschaftler im Fachblatt „Current Biology“.

„Action-Videospiele steigern die Fähigkeit, Informationen aus der Umwelt zu gewinnen, sagt Andrea Facoetti von der Universität von Padua und dem Wissenschaftsinstitut Medea in Bosisio Parini. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich die allgemeine Verbesserung der Aufmerksamkeit direkt in einem Fortschritt der Lesefähigkeit niederschlägt.“ Schon frühere Untersuchungen hatten gezeigt, dass Videospiele die Aufnahmefähigkeit verbessern können. Die Forscher um Facoetti wollten nun herausfinden, ob sich darüber hinaus auch die Erkennung von Buchstaben und ihr Zusammenfassen in Wörter und damit in Bedeutung fördern lässt. Sie untersuchten dazu zwei Gruppen legasthenischer Kinder auf ihre Lesegeschwindigkeit bevor und nachdem sie mehrere Sessions mit dem Videospielen verbracht hatten. Während dabei ein Teil der Probanden nur Actionspiele zu sehen bekam, setzte sich die zweite Gruppe ausschließlich mit gemächlicheren Spielen auseinander.

Nach neun jeweils 80-minütigen Spiel-Sitzungen testeten die Wissenschaftler die Kinder auf ihre Lesegeschwindigkeit und stellten fest: Bei denjenigen, welche die Action-Spiele gespielt hatten, zeigte sich eine deutliche Verbesserung der Leseleistung. Sie lasen aber nicht nur schneller, ohne dabei die Genauigkeit zu verlieren, sondern zeigten auch Verbesserungen in anderen Aufmerksamkeitstests. Die Kontrollgruppe, die Spiele ohne Actioninhalt gespielt hatte, konnte ihre Lesegeschwindigkeit hingegen nicht steigern. „Offenbar haben die Kinder mit Hilfe der schnellen Actionspiele gelernt, ihre Aufmerksamkeit besser zu konzentrieren sowie zu fokussieren“, erklärt Facoetti die Ergebnisse. Diese Fähigkeiten hätten sie dann nutzbar machen können, um die relevanten Informationen eines geschriebenen Wortes schneller zu erkennen. Dabei seien die Fortschritte nach dem insgesamt zwölf Stunden umfassenden Versuch vergleichbar mit der durchschnittlichen Leseverbesserung im Lauf eines ganzen Jahres, so die Wissenschaftler.

Damit geschriebene Laute in Sprache übertragen werden können, müssen Buchstaben genau von anderen Zeichen unterschieden werden. Dazu bedarf es einer schnellen Orientierung der visuellen Aufmerksamkeit. Ist die Aufnahme- und Konzentrationsfähigkeit jedoch geschwächt, leidet die Lesefähigkeit. „Laut unseren Ergebnissen unterstützen Action-Videospiele eindeutig das für das Lesen nötige visuelle Aufnahmevermögen“, sagt Facoetti. „Wir maßen uns aber nicht an, Videospiele ohne Kontrolle oder Überwachung zu empfehlen.“ Dennoch sehen er und seine Kollegen eine neue Möglichkeit, schnelle, günstige und zudem unterhaltsame Förderprogramme für Kinder mit Leseschwächen zu entwickeln.

© Wissenschaft aktuell
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