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Denken, Lernen, Vergessen

Wenn moderne Menschen mit urzeitlichen Hirnen arbeiten müssen - was beim Lernen im Kopf passiert...

Feuerzangenbowlen wärmen den Körper und lockern <br>die Nerven - doch was befeuert das Hirn beim Denken?
Feuerzangenbowlen wärmen den Körper und lockern
die Nerven - doch was befeuert das Hirn beim Denken?
© D. Saße
von Dörte Saße

"Da stelle mer uns ma janz dumm...“, sagte Lehrer Bömmel in der Feuerzangenbowle und dozierte vor seinen Schülern über die "Dampfmaschien“. Ganz falsch, sagen  Hirnforscher – obwohl Bömmel immerhin in einfachen, plastischen Begriffen erklärte. Doch vorne stehen, reden und bei Null anfangen, das ist in etwa die schlechteste Methode, Schülern etwas beizubringen.

Schlimmer wird es nur noch, wenn der Lehrer eine Atmosphäre der Angst und Einschüchterung aufbaut – die klassische Lehrmethode noch um 1960. In solchem Stress kann das Hirn den Lernstoff weder aufnehmen noch abrufen, selbst wenn es ihn schon gut verarbeitet und gespeichert hat. Stresshormone blockieren die Kontaktstellen der Hirnzellen, um den Körper auf die Flucht vorzubereiten; denn die Evolution hat den Menschen dazu konstruiert, bei Angst und Gefahr das Denken abzuschalten und einfach zu rennen...

Kleiner Ausflug in die Hirnforschung

Pech für den Homo sapiens der Moderne, dass sein Hirn im Prinzip immer noch so strukturiert ist wie das seiner Vorfahren. Behandelt man es allerdings richtig, kann das urtümliche "Denkorgan“ beim Lernen und Merken trotzdem erstaunliche Leistungen zeigen.

Lernen ist überhaupt nur möglich, weil das Hirn bis zum Tod veränderbar bleibt. Zwar liegt die wichtigste Phase der Hirnbildung vor der Pubertät: Die 100 Milliarden Nervenzellen (Neuronen), die schon das Neugeborene besitzt, wachsen, vermehren und verzweigen sich  in den ersten drei Lebensjahren und bilden zunächst doppelt so viele Kontaktstellen (Synapsen) untereinander wie beim Erwachsenen. Das Hirn ist noch sehr langsam, aber bereit für alle Arten von Lerninhalten: unterschiedlichste Sprachen oder Verhaltensweisen, das Überlebenswissen im südamerikanischen Dschungel wie auch im hochtechnisierten Japan.

Dabei wird das Gelernte nicht an einzelnen Gehirnzellen abgelegt, sondern als Muster im ganzen Geflecht. Die Meldungen laufen als elektrische Signale kreuz und quer über die Neuronen und in Form chemischer Botenstoffe über die Synapsen. Treten bestimmte Eindrücke immer wieder auf, so nehmen die Signalketten zunehmend denselben Weg, die Neuronen entlang des Wegmusters werden dicker, leiten die Signale schneller und bilden immer mehr und längere Seitenarme und Synapsen aus.

Ergebnis: Üben und Lernen prägen im Kinderhirn die individuelle Struktur, mit der es später aus der Pubertät herauskommen wird; wenig genutzte Verbindungen bilden sich zurück, und die erwachsenentypische Synapsenzahl bleibt übrig. In jenen Feldern, in denen das Kind schon eine Grundlage erworben hat, kann der Erwachsene später leichter hinzulernen.

Doch das ist nicht unveränderlich: Bis ins hohe Alter lässt sich diese Struktur durch (Um-)Lernen beeinflussen. Auch wenn es nicht mehr gar so leicht fällt, prägen sich neue Bahnen ein und ungenutzte verkümmern. Deshalb tun Menschen gut daran, sich auch im Alter vielfältig zu interessieren und beweglich zu halten. Dabei haben Erwachsene auch Vorteile. Geht es statt um neue körperliche Fähigkeiten um logische Zusammenhänge und Faktenwissen, dann können sie im Gegensatz zu Kindern schon auf Vorhandenem aufbauen und schneller lernen.

Die Ohren auf Durchzug....

Lehrer Bömmel stand vorn und dozierte. Dabei hat er sträflich vernachlässigt, dass vor ihm ganz unterschiedliche Lerntypen saßen. Unterschiedlich in den individuell bevorzugten Wahrnehmungskanälen, auf die sich Menschen schon in der frühen Kindheit festlegen: Die einen müssen den Lernstoff gelesen und das Experiment beobachtet haben (optisch-visueller Typ), die anderen müssen die Dinge anfassen oder nachahmen (haptisch-kinästhetisch). Manch einer lernt am besten durch Vortrag und Gespräch (auditiv), andere müssen mit Begriffen und Formeln die innere Logik durchblicken (abstrakt-verbal). Im klassischen Unterrichtsstil sind die letzten beiden Gruppen klar im Vorteil. Die anderen wissen selten, warum sie nicht so schnell begreifen.

Deshalb setzt modernes Lehren für alle Altersstufen darauf, möglichst viele Sinneskanäle anzusprechen: Erstens spricht man die verschiedenen Lerntypen an, zweitens bleibt bei allen das Neue umso besser "hängen“, wenn es über Auge, Ohr und Tastsinn zusammen ins Bewusstsein gelangt. Noch besser haftet es, wenn sich die Lernenden eigene Gedanken darüber machen, darüber diskutieren  und an schon Gewusstes anknüpfen.

Wer zudem eine hohe Motivation mitbringt, lernt leichter. Das Gehirn schüttet außerdem Botenstoffe für stärkere Aufmerksamkeit und besseres Erinnern aus, wenn der Lernstoff besonders neu und ungewöhnlich ist, wenn er mit dem eigenen Alltag zu tun hat, spannend dargestellt oder mit Emotionen verbunden ist. Zudem hilft Bewegung während des Lernens, und sei es nur das Herumlaufen beim Nachdenken, das Gelernte zu festigen – am besten gefolgt von einer Mütze Schlaf. Denn Träumen und Erholen verankert den Lernstoff tatsächlich besser, berichtet die Hirnforschung, und unterstützt das sprichwörtliche Lehrbuch unterm Kopfkissen. Vorausgesetzt, man hat vor dem Schlafen hineingeguckt




ZUSATZINFORMATIONEN

Der Weg ins Langzeitgedächtnis

Der Mensch würde verrückt werden, wenn er alle Information behalten müsste, die sekündlich auf ihn einströmt -- vom Druck seiner auftretenden Fußsohle bis zum Temperaturgefühl der Haut, von den Gesprächen aller umstehenden Partygäste bis zu der Unzahl an Nachrichten in den Medien. Da braucht es Filter, um auszusortieren. Erster Filter ist die Aufmerksamkeit, die "normales“ Geschehen ausblendet und sich vor allem auf Ungewöhnliches oder individuell Interessantes richtet. Der zweite Filter ist das Gedächtnis, das über mehrere Hürden nur einen winzigen Bruchteil des Einströmenden ein ganzes Leben lang speichert:

     Das Ultrakurzzeitgedächtnis  bewahrt  Informationen für etwa 20 Sekunden als elektrisches Impulsmuster, bevor sie wieder verblassen. Innerhalb dieser Zeit müssen sie wieder aktiviert werden, um ins

     Kurzzeitgedächtnis überzugehen, wo sie rund 20 Minuten bis 2 Tage verbleiben können. Hier verarbeitet und organisiert, können sie ins

     Langzeitgedächtnis übergehen. Jetzt ist die Information über RNA-Moleküle der Neuronen gespeichert, die verschiedenste Arten von Hirneiweißen kodieren. Sie lässt sie sich nur noch durch neue Informationen überdecken oder durch chemische Veränderungen im Hirn wieder löschen, etwa durch Drogen oder krankhafte Veränderungen. Allerdings muss das Wissen wiederholt werden, um aktiv im Vordergrund zu bleiben.


PRAKTISCHE TIPPS

Sprachenlernen

Aktives Nachdenken plus unterbewusstes Aufnehmen ist die Siegesformel fürs Sprachenlernen: Vokabelpauken ist verboten bei der Birkenbihl-Methode, stattdessen muss sich das Hirn zunächst an den Klang der neuen Sprache gewöhnen -- etwa wenn Nachrichten oder Filme als Hintergrundgeräusch laufen. Dann keine Vokabelpaare, sondern ganze Sätze lernen, und zwar mit wortwörtlicher Übersetzung, um die fremdartige Wortstellung gleich zu verinnerlichen. Sehr hilfreich ist auch das wiederholte Anschauen gut bekannter Filme in der fremden Sprache.

Listenmerken

Neue Namen oder Einzelfakten haften kurzfristig am besten, wenn man sie in möglichst drastischen Bildern an ein vorhandenes Gerüst heften kann. Könner der Mnemotechnik haben eine immer gleichbleibende Grundliste, die Zahlen mit Bildern verknüpft: 1=Kerze, 2=Schwan, 3=Dreizack, und so fort. Muss dann der Einkaufszettel im Kopf bleiben, heften sie den Salatkopf unter eine tropfende Kerze, das Waschmittel lagert auf dem Schwanenrücken, und die Schweinelende hängt auf dem Dreizack...

Fakten und Vokabeln merken

Zettelkästen und Merksoftware wie Phase-6 (www.phase-6.de) ebnen durch gezieltes Wiederholen den Weg ins Langzeitgedächtnis. Idealerweise schreibt man die Lerninhalte selbst auf die papiernen oder virtuellen Karteikarten. Die Abfrage erfolgt dann nach 24 Stunden, nach drei Tagen, zehn, dreißig und neunzig Tagen. Was zwischendurch vergessen wurde rutscht wieder nach vorn, doch was die 90-Tage-Hürde genommen hat, "sitzt“ angeblich für immer.


BUCHTIPPS

"Denken, Lernen, Vergessen“ von Frederic Vester, DTV, 1998, ISBN: 3423330457, 272 S., Euro 8,50

"Stroh im Kopf?“ von Vera F. Birkenbihl, Moderne Verlagsgesellschaft, 2005, ISBN: 3636070673, 336 S., Euro 8,90

"Kluges Lernen“ von Ellen J. Langer, Rowohlt, 2001, ISBN: 349961121X, 160S., Euro 8,90

"Lernen - Gehirnforschung und die Schule des Lebens“ von Manfred Spitzer, Spektrum Akademischer Verlag , 2002, ISBN: 3827413966, 528 S., Euro 31,00

"Lernen als Abenteuer“ von Verena Steiner, Eichborn , 2002, ISBN: 3821839333, Euro 14,90

"Stichwort Schule, Trotz Schule lernen!“ von Vera F. Birkenbihl, Moderne Verlagsgesellschaft, 2005, ISBN: 3636070622, 176 S., Euro 7,90

"So lernt man lernen“ von Sebastian Leitner, Herder, 2003, ISBN: 3451050609, 320 S., Euro 9,90

 

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Zuerst erschienen in "explore: - Kundenmagazin des TÜV Nord"


 

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