Wurmtaxi

Im Darm von Nacktschnecken können Fadenwürmer unbeschadet eine größere Strecke zurücklegen, um zu neuen Nahrungsquellen zu gelangen
Wegschnecken der Gattung Arion nehmen Fadenwürmer ein Stück mit.
Wegschnecken der Gattung Arion nehmen Fadenwürmer ein Stück mit.
© Carola Petersen, Hinrich Schulenburg, Universität Kiel
Kiel - Im Boden lebende Fadenwürmer ernähren sich von Mikroben in verrottenden Früchten und anderem pflanzlichen Material. Früher oder später wird die Nahrung knapp und sie müssen ihren Standort wechseln. Dabei sind die nur einen Millimeter großen Würmer auf die Hilfe von größeren Tieren angewiesen, die sich schneller fortbewegen, denn aus eigener Kraft können sie nur kleine Strecken zurücklegen. In Freilanduntersuchungen und Laborexperimenten haben deutsche Biologen jetzt nachgewiesen, dass die Würmer Nacktschnecken als Transportmittel nutzen können. Die Würmer werden von den Weichtieren mit der Nahrung in den Darm aufgenommen und dann an einem anderen Ort lebend wieder ausgeschieden, berichten die Forscher im Fachblatt „BMC Ecology”. Auch Hundertfüßer und Asseln können als Taxis für den Wurmtransport dienen, Käfer und Spinnen sind offenbar weniger geeignet.

„Im Lauf der Evolution scheinen die Würmer die Fähigkeit entwickelt zu haben, die Bedingungen im Darm von Nacktschnecken zu überstehen – wie ein Symbiont oder sogar als Parasit“, sagt Hinrich Schulenburg von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Sein Forscherteam untersuchte, wie der Fadenwurm Caenorhabditis elegans und andere Arten derselben Gattung in ihren natürlichen Lebensräumen Zeiten von Nahrungsmangel und Trockenheit überleben. Dazu prüften die Biologen zunächst, ob sich die Würmer an die Körperoberfläche anderer Tiere anheften oder vorübergehend in deren Darm gelangen. Sie sammelten etwa 600 Nacktschnecken und mehr als 400 Insekten, Spinnen und Asseln hauptsächlich aus Komposthaufen, aber auch in Gärten oder auf Wiesen und Feldwegen.

Würmer der Gattung Caenorhabditis ließen sich häufig am Körper und im Darm von Nacktschnecken der Gattung Arion aus der Familie der Wegschnecken sowie bei Asseln und Hundertfüßern nachweisen, bei den anderen Tieren dagegen nicht. Die Forscher vermuten, dass die Würmer in Notzeiten möglicherweise aktiv den Kontakt zu bestimmten Tieren suchen, um ein Austrocknen zu verhindern. So könnten sie insbesondere von der Schleimproduktion der Schnecken profitieren. Das Darminnere würde zusätzlich Nahrung in Form von Darmbakterien bieten. Vielleicht werden die Würmer von chemischen Signalen mancher Tiere angezogen, während sie von anderen erfolgreich abgeschreckt werden. Die Forscher fanden auch dann Würmer im Darm von Schnecken, wenn es in nächster Umgebung keine frei lebenden Würmer gab. Daraus schließen sie, dass die Würmer von ihrem ursprünglichen, entfernten Standort wegtransportiert wurden.

Im Labor brachten die Biologen 80 Wegschnecken mit jeweils 15.000 Fadenwürmern unterschiedlicher Entwicklungsstadien zusammen. Es stellte sich heraus, dass die Würmer sowohl als sogenannte Dauerlarve, die als Schutz vor Austrocknung entsteht, als auch während anderer Lebensphasen in den Schneckendarm gelangen können. Länger als einen Tag überlebten sie diesen Aufenthalt allerdings nicht. Sie blieben nur dann lebensfähig, wenn sie vorher mit dem Kot ausgeschieden wurden. Um längere Strecken im hohen Schneckentempo zurücklegen zu können, müssten sie also nach jeweils einer Tagesreise das Schneckentaxi wechseln.

Es gab keine Anzeichen dafür, dass die Schnecken darunter leiden, wenn Würmer in großer Zahl in den Darm eindringen. Weitere Untersuchungen müssten aber prüfen, ob dabei nicht doch die Darmflora stark geschädigt wird, die den Würmern als Nahrung dient. In dem Fall würden sich die Würmer in dieser Lebensphase als Parasiten verhalten, die den Wirt nicht nur als Transportmittel nutzen, sondern auch schädigen. Das wäre nach Ansicht der Autoren ein Hinweis auf die ersten Schritte, die bei der Entwicklung einer dauerhaft parasitären Lebensweise anderer Würmer abgelaufen sein könnten.

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