World Energy Outlook 2016: Globale Kehrtwende zu erneuerbaren Energien

Immer mehr Indizien für den Durchbruch von Solar-, Wind- und Wasserkraft. Doch auch die Nutzung von Erdgas nimmt zu.
Solarthermie-Kraftwerk in Ouarzazate, Marokko: Vor allem der Preis für Solarstrom ist in den vergangenen Jahren gesunken.
Solarthermie-Kraftwerk in Ouarzazate, Marokko: Vor allem der Preis für Solarstrom ist in den vergangenen Jahren gesunken.
© Jan Oliver Löfken
Marrakesch (Marokko) - Weltweit fallen die Kosten für klimaneutral erzeugten Strom drastisch. Erste Solarkraftwerke werden in Kürze Strom für kaum mehr als zwei Cent pro Kilowattstunde produzieren, Offshore-Wind hat die Fünf-Cent-Schwelle nach unten durchschritten. Auch der neue World Energy Outlook (WEO) der Internationalen Energieagentur IEA in Paris sieht die erneuerbaren Stromquellen in den kommenden Jahren als großen Gewinner neben Gas. Die derzeit noch große Bedeutung von Kohle und Öl schrumpfe dagegen. Diesem Trend folgend präsentieren auf dem aktuell laufenden Klimagipfel COP22 in Marokko zahlreiche Staaten ihre Klimaschutzstrategien. Allerdings reichen diese bisher nicht für das selbst gesetzte „Unter-Zwei-Grad-Ziel“ für die Erderwärmung aus. Nach Abschätzung der IEA müsse derzeit noch mit mindestens einer Zunahme von 2,7 Grad bis zum Jahr 2100 gerechnet werden.

„Für die kommenden 25 Jahre sehen wir Erdgas, aber besonders auch Wind und Solar als die neuen Champions, die die Kohle von der bisherigen Spitzenstellung verdrängen werden“, sagt Fatih Birol, Direktor der Internationalen Energieagentur IEA. Bis 2040 werden die neuen Kraftwerke zu mehr als 80 Prozent erneuerbare Quellen aber auch Erdgas nutzen, das bei der Stromerzeugung im Vergleich zur Kohle nur halb so viel Kohlendioxid freisetzt. Dadurch werde im gleichen Zeitraum der Anteil von Kohle an der globalen Energieversorgung signifikant fallen.

Erdöl wird nach dem neuen IEA-Report in den kommenden Jahrzehnten immer weniger relevant für ein Wirtschaftswachstum sein. Von einem Mangel an Erdöl mit stark steigenden Preisen ist entsprechend keine Rede mehr. „Dafür treten wir in eine Ära stärker schwankender Ölpreise ein“, sagt Birol. Doch bei steigenden Ölpreisen würden relativ teure Techniken wie die Schieferölgewinnung in den USA wieder attraktiv werden. Steigender Bedarf könnte dadurch aber auch schnell gedeckt werden, was dann wieder zu fallenden Ölpreisen führen sollte.

Global sieht der IEA-Report es weiterhin für schwierig, die derzeitig noch hohen CO2-Emissionen bei der Stromerzeugung drastisch bis zum Jahr 2040 vierteln zu können. Nicht nur das Engagement von Industrie, Wirtschaft und privaten Investoren, sondern auch die Politik sei für die Verminderung der CO2-Emissionen weiterhin stark gefordert, um die nötigen Rahmenbedingungen zu gestalten. „Nach der Stromerzeugung muss die Erfolgsstory der Erneuerbaren in weiteren Bereichen – Industrie, Bau und Verkehr – fortgeschrieben werden“, sagt Birol. „In diesen Sektoren schlummert noch ein enormes Potenzial.“ Laut IEA müsse der globale CO2-Ausstoß schon in wenigen Jahren seinen Höhepunkt überschreiten, damit die Weltwirtschaft tatsächlich bis zum Ende des Jahrhunderts klimaneutral werden könne.

Etwas optimistischer als die IEA-Vertreter sieht Adnan Z. Amin, Direktor der Internationalen Agentur für erneuerbare Energien IRENA in die Zukunft. „Weltweit sind die Kosten der grünen Technologien drastisch gefallen“, sagt Amin. Allein die Solarstromerzeugung über Photovoltaik sei heute 80 Prozent günstiger als noch vor sieben Jahren. Preise für Windstrom fielen im gleichen Zeitraum von einem bereits niedrigen Niveau um ein weiteres Drittel. „Schon in vielen Ländern ist Strom aus erneuerbaren Quellen bereits der günstigste, der ins Stromnetz eingespeist wird“, sagt der IRENA-Direktor.

Mehrere aktuelle Ausschreibungen von Wind- und Solarkraftwerken geben Amin recht. So entsteht etwa in Sweihan in Abu Dhabi ein 350-Megawatt-Solarkraftwerk, für das ein asiatisches Konsortium nur noch mit 2,18 Eurocent pro Kilowattstunde kalkuliert. Auch im weniger von der Sonne verwöhnten Norden sinken die Preise. So wird vor der dänischen Küste im Areal Kriegers Flak ein Offshore-Windpark mit 600 Megawatt Leistung geplant, für das das Energieunternehmen Vattenfall nur noch knapp fünf Eurocent pro Kilowattstunde veranschlagt. Selbst teurere Solarthermiekraftwerke, die den Vorteil einer mehrstündigen Speicherfähigkeit aufweisen, werden wie etwa im marokkanischen Solarkomplex Noor in Ouarzazate immer günstiger betrieben und erreichen ein Preisniveau von nur noch 13 Eurocent/kWh.

Neben den fallenden Strompreisen aus erneuerbaren Quellen erregte auf der Klimakonferenz COP22 in Marrakesch eine Wirtschaftsstudie Aufmerksamkeit. Laut dem Forschungsverbund Global Carbon Project sei trotz globalen Wirtschaftswachstums der weltweite Ausstoß an Kohlendioxid aus fossilen Brennstoffen das dritte Jahr in Folge kaum gestiegen. In der Fachzeitschrift „Earth System Science Data“ berichten die Forscher, dass von 2013 bis 2015 jährlich etwa 36,4 Milliarden Tonnen Kohlendioxid ausgestoßen wurden und die CO2-Emissionen damit stagnierten. Verantwortlich dafür seit vor allem der geringere Kohleverbrauch in China. Ob diese Zahlen allerdings als die gewünschte Entkopplung von Wirtschaftswachstum und CO2-Ausstoß interpretiert werden könnten, wollten die Forscher um Corinne Le Quéré von der britischen University of East Anglia noch nicht bestätigen. „Die globalen Emissionen müssen nun noch schnell sinken, anstatt nur zu stagnieren“, sagt Le Quéré.

Die in der Studie verwendeten Zahlen stehen jedoch im Einklang mit der Klimaschutzstrategie, die Vertreter der chinesischen Regierung in Marrakesch vorstellten. China setzt sich nicht nur für die CO2-Minderung in der Industrie, sondern für alle klimarelevanten Sektoren ehrgeizige Ziele. „Wir wollen spätestens 2030 den Höhepunkt unserer CO2-Emissionen überschreiten“, sagt Liu Qiang, Energieexperte der Klimawandel-Abteilung der Nationalen Entwicklungskommission NCSC. „Und vielleicht erreichen wir dieses Ziel schon ein paar Jahre früher.“

Die Klimaziele der Europäischen Union sind mit mindestens 80 Prozent weniger CO2-Ausstoß bis 2050 im Vergleich zum Referenzjahr 1990 zwar deutlich ehrgeiziger. Doch noch vor wenigen Jahren hätte niemand China eine solche Dynamik bei der Umstellung auf CO2-arme Technologien zugetraut. Auch Indien, das seinen Strombedarf derzeit zu 55 Prozent mit Kohle deckt, hat sich ein ehrgeiziges Programm zum Ausbau von Wind-, Solar- aber auch Kernkraft auferlegt. Allein die langfristigen Klimaziele der USA, die ebenfalls das 2015 in Paris beschlossene Klimaabkommen tragen, bleiben nach der Wahl von Donald Trump als künftigen Präsidenten noch unklar.

Trotz aller positiven Anzeichen ist das ambitionierte „Unter-Zwei-Grad-Ziel“ noch längst nicht gesichert. Nicht nur in der Stromerzeugung, sondern auch für andere wichtige Sektoren wie Verkehr, Bauindustrie, private Haushalte und Landwirtschaft sind größere Anstrengungen als bisher zugesagt nötig. Wie im Pariser Klimaabkommen verankert, sollen alle Staaten in regelmäßigen Abständen ihre Klimaschutzpläne nachbessern. Nur so wird das „Unter-Zwei-Grad-Ziel“ vielleicht noch erreicht werden können.

© Wissenschaft aktuell
Quelle: Eigenrecherche COP22


 

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