Wie Licht in der Nacht Depressionen verursacht

Auch ohne Schlafstörungen und bei intakter innerer Uhr beeinflusst nächtliche Helligkeit die Stimmung und Lernleistung - wahrscheinlich nicht nur bei Mäusen
Mexiko-Stadt bei Nacht
Mexiko-Stadt bei Nacht
© Fernando Tomás aus Zaragoza, Spain / Creative Commons (CC BY 2.0), http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/deed.de
Baltimore (USA) - In der kalten Jahreszeit reagieren manche Menschen auf den Mangel an Tageslicht mit einer Winterdepression. Aber auch zu viel Licht in Form von künstlicher Beleuchtung am Abend könnte depressive Störungen verursachen. Das folgern amerikanische Forscher aus den Ergebnissen ihrer Experimente mit Mäusen. Auch bei weiterhin normaler Schlafdauer und intakter innerer Uhr löste ein künstlicher, stark verkürzter Hell-Dunkel-Wechsel bei den Tieren depressives Verhalten aus und beeinträchtigte die Lernleistung. Ursache dafür war die Aktivierung spezieller Lichtsinneszellen im Auge zu nächtlicher Zeit, schreiben die Wissenschaftler im Fachjournal „Nature“. Ihrer Ansicht nach bestünde auch bei Menschen, die sich abends häufig starker künstlicher Beleuchtung aussetzen, eine erhöhte Gefahr, an Depressionen zu erkranken und kognitive Hirnleistungen zu schwächen.

„Ich sage nicht, dass wir abends ganz im Dunkeln sitzen sollten. Aber ich empfehle, weniger Lampen einzuschalten“, sagt Samer Hattar von der Johns Hopkins University in Baltimore. Geringe Lichtintensitäten würden nicht ausreichen, um einen bestimmten Typ von Ganglienzellen in der Netzhaut zu aktivieren. Diese am Sehprozess nicht beteiligten Lichtsinneszellen, senden – wenn sie zur falschen Tageszeit stimuliert werden – Signale in Hirnregionen, die Stimmung und Hirnleistung beeinflussen. Solche Zellen, die das lichtabsorbierende Pigment Melanopsin enthalten, sind auch Bestandteil der Netzhaut von Menschen. Daher vermutet Hattar, dass sich die Ergebnisse der Tierversuche seines Forscherteams auf den Menschen übertragen lassen. Die melanopsinhaltigen Netzhautzellen vermitteln auch die Synchronisation unserer inneren Uhr mit dem natürlichen Tag-Nacht-Wechsel. Ein beispielsweise durch Schichtarbeit gestörter Hell-Dunkel-Rhythmus bringt bekanntlich die Uhr aus dem Takt, verursacht Schlafstörungen und kann zu Depressionen führen. Die neuen Ergebnisse verweisen auf einen davon unabhängigen, direkten Einfluss des Lichts mit ähnlichen Folgen bei gleichzeitig intaktem Aktivitätsrhythmus.

Die Wissenschaftler hielten Mäuse in einem Raum, in dem sie einem ständigen Wechsel von 3,5 Stunden Licht und 3,5 Stunden Dunkelheit ausgesetzt waren. Unter diesen Bedingungen zeigten die Tiere das gleiche Schlafverhalten und ähnliche Aktivitätsrhythmen im Tagesverlauf wie Kontrolltiere bei einem Hell-Dunkel-Wechsel von jeweils zwölf Stunden. Die innere Uhr tickte also weiter ungestört. Zwar schwankte auch der Spiegel des Stresshormons Corticosteron weiterhin im normalen Rhythmus, die Gesamtmenge des zirkulierenden Hormons war allerdings erhöht. Außerdem verstärkte sich das depressive Verhalten: Die Mäuse waren weniger aktiv, weniger interessiert an neuen Objekten und reagierten schwächer auf angebotene Zuckerspeise. Sie erzielten auch deutlich schlechtere Ergebnisse in Gedächtnis- und Lerntests.

Eine Behandlung mit dem Antidepressivum Fluoxetin oder Desipramin normalisierte das Verhalten und die Lernleistung wieder. Wahrscheinlich lösten die unnatürlichen Lichtverhältnisse zunächst die Depressionen aus, die dann die kognitiven Fähigkeiten verschlechterten. Mäuse, die zwar mit Hilfe von Stäbchen und Zapfen in der Netzhaut über eine normale Sehleistung verfügten, denen aber der dritte Typ lichtempfindlicher Ganglienzellen fehlte, entwickelten weder depressives Verhalten noch Lernstörungen. Die Ergebnisse zeigen, dass sich – besser als durch andere Methoden – durch einen schnellen Hell-Dunkel-Wechsel Depressionen bei Mäusen erzeugen lassen. Damit steht ein neues Tiermodell zur Verfügung, mit dem Krankheitsursache und neue Therapien effektiver als bisher erforscht werden könnten.

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