Wer den unsichtbaren Gorilla sieht und wer nicht

Ein berühmtes psychologisches Rätsel ist offenbar gelöst: Wenn sich Menschen sehr auf eine Aufgabe konzentrieren, können sie Unerwartetes wie einen vorbeilaufenden Gorilla übersehen. Warum dennoch manche Menschen den Gorilla sehen und andere nicht, war für die Forschung bisher unklar.
Salt Lake City (USA) - Die starke Konzentration auf eine Aufgabe kann zum Übersehen selbst spektakulärer Ereignisse - etwa dem Vorbeilaufen einer Person im Gorilla-Kostüm - führen. Warum jedoch manchen Menschen so ein Ereignis trotzdem nicht entgeht, war für die psychologische Forschung bisher unklar. Jetzt sagt ein amerikanisches Forscherteam, dass ein gutes Arbeitsgedächtnis entscheidend sei: Menschen mit einem guten Arbeitsgedächtnis haben bessere Chancen, den Gorilla zu bemerken, als Menschen mit einem schlechteren Arbeitsgedächtnis, zeigen die Forscher im "Journal of Experimental Psychology: Learning, Memory and Cognition".

Das Experiment mit dem "unsichtbaren" Gorilla ist ein Klassiker der experimentellen psychologischen Forschung und schon jahrzehntealt. Im Experiment werden Versuchspersonen in einem Videoclip drei Ballspieler gezeigt und die Versuchspersonen sollen zählen, wie viele Ballwechsel zwischen Spielern stattfinden. Während die Probanden den Videoclip anschauen, läuft - nur für Sekunden sichtbar - eine als Gorilla verkleidete Person durchs Bild. Am Ende werden die Versuchsteilnehmer gefragt, ob ihnen etwas aufgefallen sei. Bei solchen Experimenten stellte sich immer wieder heraus, dass es Probanden gab, die den Gorilla gesehen hatten, während andere außer den Ballspielern nichts weiter bemerkt hatten. Seither spricht man von "Unaufmerksamkeitsblindheit". Warum jedoch manche Menschen unaufmerksamkeitsblind sind und andere nicht, war lange unklar.

Nun haben Janelle Seegmiller von der University of Utah und ihre Kollegen das frühere Experiment wiederholt. Diesmal aber wurde bei allen Versuchspersonen zusätzlich mit einem standardisierten Test die Leistung des Arbeitsgedächtnisses ermittelt. Das Arbeitsgedächtnis - manchmal auch Kurzzeitgedächtnis genannt - kann mehrere Dinge auf einmal im Gedächtnis festhalten, aber nur für sehr kurze Zeit. Es scheint jedoch individuell unterschiedlich gut ausgeprägt zu sein.

Bei der Auswertung des Experiments zeigte sich, dass 67 Prozent der Personen mit gutem Arbeitsgedächtnis die Gorillafigur im Videoclip bemerkt hatten. Von den Probanden, deren Arbeitsgedächtnis nicht so gut ausgeprägt war, hatten nur 36 Prozent die Gorillafigur bemerkt. Doch welche praktische Relevanz hat dieses Experiment? "Stellen Sie sich vor, Sie fahren eine Straße entlang und die Straßenverhältnisse sind nicht so gut. Da können unvorhersehbare Dinge passieren", erklärt Seegmiller. "Individuen mit einer besseren Kontrolle über ihre Aufmerksamkeit würden mit größerer Wahrscheinlichkeit solche unerwarteten Vorkommnisse bemerken, ohne dass jemand sie darauf aufmerksam machen müsste."

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Quelle: Janelle Seegmiller, James Watson, David Strayer; Journal of Experimental Psychology: Learning, Memory and Cognition, Mai 2011, im Druck


 

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