Was Ohrenschmalz über Blauwale verrät

Der Ohrpfropf erlaubt Rückschlüsse auf viele Lebensdetails eines Meeressäugers – etwa auf Alter, Stress- und Schadstoffbelastung
Blauwal an der Wasseroberfläche
Blauwal an der Wasseroberfläche
© U.S. National Oceanic and Atmospheric Administration
Waco (USA) - Zeige mir Dein Ohrenschmalz und ich sage Dir, wer Du bist. Das gilt zumindest beim Blauwal, denn die Ablagerungen in seinem Ohr verraten eine ganze Menge über sein Leben – etwa darüber, wann er Stress hatte, wann er erwachsen wurde oder welchen Schadstoffen er ausgesetzt war. Bei den gigantischen Meeressäugern sammelt sich das Ohrenschmalz über das ganze Leben hinweg kontinuierlich an und bildet einen Pfropf, der aus vielen abwechselnd hellen und dunklen Schichten besteht. Ähnlich wie bei Baumringen lässt sich anhand der Schichten dieses Ohrenpfropfens zum Beispiel ablesen, wie alt ein Exemplar geworden ist. Doch wie US-Biologen nun im Fachblatt „Proceedings of the National Academy of Sciences” berichten, verrät eine Analyse des Ohrenschmalzes auch einige weitere Details über das Leben des Tiers.

„Die Ohrpfropfen von Walen zu nutzen, um die chemischen Profile über die Lebenszeit hinweg zu rekonstruieren, wird eine umfassendere Untersuchung von Stress, Entwicklung und der Belastung mit Schadstoffen erlauben“, schreiben Sascha Usenko von der Baylor University in Waco und seine Kollegen. Ebenso könne es die Einschätzung von Schadstoffemissionen, Lärmverschmutzung, Schifffahrt und Klimaveränderungen in Bezug auf die Meerestiere verbessern. Usenko und seine Kollegen hatten einen sogenannten Ceruminalpfropf, also einen Pfropf aus Ohrenschmalz, eines einzelnen verstorbenen Blauwalmännchens (Balaenoptera musculus) Schicht für Schicht analysiert. Über dessen Lebensspanne von zwölf Jahren hinweg untersuchten sie die Werte des Sexualhormons Testosteron und des Stresshormons Cortisol sowie Belastungen mit bestimmten organischen Schadstoffen - von Pestiziden oder Flammschutzmitteln bis zu Quecksilber.

Die Biologen konnten mit ihrer exemplarischen Analyse nicht nur zeigen, dass sich fettlösliche Bestandteile im Ohrenschmalz ansammeln, sondern auch, dass dabei bestimmte Schadstoffe und Hormone sozusagen chronologisch archiviert werden. In jeder einzelnen Schicht lassen sich diese Schadstoffe und Hormone analysieren und bestimmen. So entsteht letztlich ein individuelles Profil der unterschiedlichsten Chemikalien über die gesamte Lebensspanne eines einzelnen Wals, von der Geburt bis zum Tod. In ihre Beispiel stellten die Forscher unter anderem fest: Bereits in seinem ersten Lebensjahr war der Blauwal organischen Schadstoffen wie Pestiziden und Flammschutzmitteln ausgesetzt. Sie vermuten, dass er diese mit der Muttermilch und/oder sogar bereits im Mutterleib aufgenommen hat. Dagegen fanden sich erhöhte Quecksilberbelastungen zu zwei späteren Zeitpunkten. Die Analysen der Testosteronwerte legen nahe, dass das Männchen vermutlich im Alter von rund zehn Jahren geschlechtsreif wurde. Dem Spitzenwert an Testosteron folgte auch ein Spitzenwert des Stresshormons Cortisol. Daraus schließen die Biologen, dass sich mit der Geschlechtsreife gewisse Stressfaktoren einstellten – etwa der Konkurrenzkampf mit anderen Männchen oder die Bildung sozialer Bindungen.

Insgesamt spiegelten die Cortisolwerte, die sich über die Lebensspanne des Blauwalmännchens im Schnitt in etwa verdoppelten, wieder, dass viele Stressfaktoren auf das Tier einwirkten – darunter die Entwöhnung von der Mutter, Entwicklung, Geschlechtsreife, Wanderschaften, die Verfügbarkeit von Futter, Lärmbelastung oder auch Veränderungen des sozialen Standes. Die Autoren vermuten daher: Die Analyse der Ohrpfropfen könnte helfen, die Lebensumstände von Walen und auch mögliche Einflüsse menschlicher Aktivitäten auf die Meeressäuger und das Ökosystem Ozean genauer einzuschätzen. Damit könnten sie zur Erhaltung der Art beitragen.

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