Was Geier vor einer Lebensmittelvergiftung schützt
„Es wäre nicht unangemessen zu vermuten, dass die Beziehung zwischen den Vögeln und ihren Darmmikroben für die Vogelevolution genauso bedeutend gewesen ist wie die Entwicklung von Flugtechnik und Gesang“, sagt Gary Graves vom Smithsonian National Museum of Natural History in Washington. Zusammen mit Lars Hansen von der Universität Aarhus und anderen dänischen Forschern versuchte er herauszufinden, wie sich die Geier an ihre riskante Ernährungsweise angepasst haben. Dazu untersuchten die Biologen 26 Rabengeier (Coragyps atratus) und 24 Truthahngeier (Turkey vulture), die zwei häufigsten Geierarten Amerikas. Sie nahmen Abstriche vom Kopf und Proben aus dem Dickdarm eines jeden Vogels und ermittelten durch DNA-Analysen jeweils die Gesamtzahl der dort vorhandenen Bakterienarten.
Da die Geier beim Fressen ihren Kopf tief in den Körper des toten Tieres stecken, bleiben daran die gleichen Bakterien haften, die auch in ihren Darm gelangen. Aus dem Vergleich der Artenzahlen von Kopf und Dickdarm lässt sich dann schließen, welche Spezies den Transport durch den Verdauungskanal lebend überstehen und welche nicht. Demnach erwies sich der säurehaltige Magen-Darm-Trakt als ein sehr effektiver Bakterienfilter: Von den durchschnittlich 528 am Kopf gezählten Keimarten wurden im Dickdarm nur noch 76 nachgewiesen. Der Schutz vor gefährlichen Bakterien besteht also zunächst darin, dass der größte Teil der mit der Nahrung aufgenommenen Mikroben in Magen und Darm abgetötet wird.
Während Säugetiere und Menschen große individuelle Unterschiede im Artenspektrum ihrer Darmkeime zeigen, war die Darmflora bei allen Geiern sehr ähnlich: Sie bestand etwa zur Hälfte aus Clostridien-Arten und zu 20 – 30 Prozent aus Arten von Fusobakterien. Beide Gruppen von Mikroben enthalten Spezies, die zum Teil tödliche Erkrankungen verursachen können. Dazu zählen die Toxinbildner Clostridium botulinum und der Gasbranderreger (Clostridium perfringens). Die Geier müssen also zusätzlich über einen Schutzmechanismus verfügen, der sie unempfindlich gegen solche Gifte macht. Die Forscher vermuten, dass die spezielle Lebensgemeinschaft von Darmkeimen und ihrem Wirt von beiderseitigem Nutzen ist. Die Bakterien leben an einem geschützten sauerstofffreien Standort und können sich von proteinreichem Aas ernähren. Dabei bauen sie auch schwer verdauliche Bestandteile ab und verbessern so die Nahrungsverwertung, wovon auch die Vögel profitieren.