Was Geier vor einer Lebensmittelvergiftung schützt

Die Aasfresser töten Mikroben durch aggressive Verdauungssäfte ab und tolerieren toxinbildende Bakterien, die mit dem Aas in den Darm gelangen
Aasfresser wie der Truthahngeier (Turkey vulture) sind vor Bakterien und deren Toxinen im Kadaver geschützt.
Aasfresser wie der Truthahngeier (Turkey vulture) sind vor Bakterien und deren Toxinen im Kadaver geschützt.
© Shutterstock, Bild 231517357
Aarhus (Dänemark)/Washington (USA) - Stirbt ein Tier in freier Natur, beginnen die Darmbakterien schon bald, seinen Körper zu zersetzen. Dabei entstehen Giftstoffe, die das Aas für die meisten Fleisch- und Allesfresser ungenießbar machen. Geier dagegen haben sich auf diese Nahrung spezialisiert, ohne Lebensmittelvergiftungen zu erleiden. Wie ihnen das gelingt, hat ein dänisch-amerikanisches Forscherteam jetzt untersucht. Dazu analysierten sie das gesamte Artenspektrum an Darmkeimen der Aasfresser. Der größte Teil der mit der Nahrung aufgenommenen Bakterien überlebt aufgrund extrem aggressiver Verdauungssäfte die Passage durch Magen und Dünndarm nicht. Im Dickdarm dominieren nur zwei Gruppen besonders robuster Bakterien – Clostridien und Fusobakterien – darunter auch Arten gefährlicher Toxinbildner. Diese Mikroben sind aus dem Darm der gefressenen Tierkörper in den Vogeldarm gelangt, berichten die Biologen im Fachblatt „Nature Communications”. Auf welche Weise die Geier die bakteriellen Giftstoffe wie das Botulinumtoxin und Toxine des Gasbranderregers tolerieren, ist noch nicht bekannt.

„Es wäre nicht unangemessen zu vermuten, dass die Beziehung zwischen den Vögeln und ihren Darmmikroben für die Vogelevolution genauso bedeutend gewesen ist wie die Entwicklung von Flugtechnik und Gesang“, sagt Gary Graves vom Smithsonian National Museum of Natural History in Washington. Zusammen mit Lars Hansen von der Universität Aarhus und anderen dänischen Forschern versuchte er herauszufinden, wie sich die Geier an ihre riskante Ernährungsweise angepasst haben. Dazu untersuchten die Biologen 26 Rabengeier (Coragyps atratus) und 24 Truthahngeier (Turkey vulture), die zwei häufigsten Geierarten Amerikas. Sie nahmen Abstriche vom Kopf und Proben aus dem Dickdarm eines jeden Vogels und ermittelten durch DNA-Analysen jeweils die Gesamtzahl der dort vorhandenen Bakterienarten.

Da die Geier beim Fressen ihren Kopf tief in den Körper des toten Tieres stecken, bleiben daran die gleichen Bakterien haften, die auch in ihren Darm gelangen. Aus dem Vergleich der Artenzahlen von Kopf und Dickdarm lässt sich dann schließen, welche Spezies den Transport durch den Verdauungskanal lebend überstehen und welche nicht. Demnach erwies sich der säurehaltige Magen-Darm-Trakt als ein sehr effektiver Bakterienfilter: Von den durchschnittlich 528 am Kopf gezählten Keimarten wurden im Dickdarm nur noch 76 nachgewiesen. Der Schutz vor gefährlichen Bakterien besteht also zunächst darin, dass der größte Teil der mit der Nahrung aufgenommenen Mikroben in Magen und Darm abgetötet wird.

Während Säugetiere und Menschen große individuelle Unterschiede im Artenspektrum ihrer Darmkeime zeigen, war die Darmflora bei allen Geiern sehr ähnlich: Sie bestand etwa zur Hälfte aus Clostridien-Arten und zu 20 – 30 Prozent aus Arten von Fusobakterien. Beide Gruppen von Mikroben enthalten Spezies, die zum Teil tödliche Erkrankungen verursachen können. Dazu zählen die Toxinbildner Clostridium botulinum und der Gasbranderreger (Clostridium perfringens). Die Geier müssen also zusätzlich über einen Schutzmechanismus verfügen, der sie unempfindlich gegen solche Gifte macht. Die Forscher vermuten, dass die spezielle Lebensgemeinschaft von Darmkeimen und ihrem Wirt von beiderseitigem Nutzen ist. Die Bakterien leben an einem geschützten sauerstofffreien Standort und können sich von proteinreichem Aas ernähren. Dabei bauen sie auch schwer verdauliche Bestandteile ab und verbessern so die Nahrungsverwertung, wovon auch die Vögel profitieren.

© Wissenschaft aktuell
Weitere Artikel zu diesem Thema:
Lecker Aas: Geier berauben Adler


 

Home | Über uns | Kontakt | AGB | Impressum | Datenschutzerklärung
© Wissenschaft aktuell & Scientec Internet Applications + Media GmbH, Hamburg