Wanderfalter: Langstreckenflüge sichern das Überleben

Messungen der Flugaktivität zeigen, dass Schmetterlinge wie die Gammaeulen von jährlichen Wanderungen zwischen Nordafrika und Europa profitieren
Die Gammaeule (Autographa gamma) zählt zu den Wanderfaltern.
Die Gammaeule (Autographa gamma) zählt zu den Wanderfaltern.
© Ian Woiwod
Penryn (Großbritannien) - Ähnlich wie Zugvögel fliegen einige unserer Schmetterlinge jedes Jahr zum Überwintern in den Süden und kehren im Frühling wieder zurück. Ob ihnen dieses Verhalten wirklich nutzt, ist bisher nicht erwiesen. Jetzt haben britische Forscher erstmals Populationsgrößen einer Schmetterlingsart während den Jahreswanderungen gemessen. Demnach vermehren sich Gammaeulen, die zu den Nachtfaltern zählen, im Sommerquartier auf das Vierfache ihrer Zahl und reisen nur mit geringen Verlusten im Herbst zurück. Die Insekten würden den Winter in den gemäßigten Zonen nicht überleben, aber genauso wenig auch die heißen, trocknen Sommer in Nordafrika. Der jährliche Flug nach Norden ist also nicht nur nützlich, sondern sogar unabdingbar für den Arterhalt, erklären die Biologen im Fachjournal „Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS)“.

„Unsere Ergebnisse sind ein wichtige Schritt zur Analyse der Antriebskräfte, die bei der Evolution von wandernden Insekten eine Rolle spielen“, schreiben Jason Chapman von der University of Exeter und Kollegen. Sie halten es für sehr wahrscheinlich, dass sich ihre Resultate auf ein breites Spektrum anderer Insekten übertragen lassen, die wie die Gammaeule (Autographa gamma) jährlich große Strecken zurücklegen. Die Forscher nutzten für ihre Zählungen zwei spezielle, nach oben gerichtete Radargeräte, die im Süden Englands installiert waren. Damit ist es möglich, alle Insekten zu erfassen, die mehr als zwei Milligramm wiegen und in Höhen zwischen 150 und 1.200 Metern vorbeifliegen. Täglich sechs Stunden lang ab Sonnenuntergang wurde die Flugaktivität von Gammaeulen ermittelt, die sich aufgrund ihrer Größe und Flughöhe zuverlässig identifizieren lassen.

Die hochgerechneten Messwerte aus mehreren Jahren ergaben, dass jeweils im Mai und Juni zwischen 10 und 240 Millionen Nachtfalter aus dem Süden in Großbritannien eintreffen. Zusätzliche Messungen mit im ganzen Land verteilten Lichtfallen in Bodennähe bestätigten die Messergebnisse der Radargeräte in den Monaten August und September: In den Sommermonaten vervierfacht sich die Zahl der Schmetterlinge und der größte Teil von ihnen tritt den Rückflug in das Winterquartier an. Aus Computersimulationen und anderen Daten schließen die Forscher, dass 80 Prozent der Falter ihr Ziel in Ländern der Mittelmeerregion auch erreichen. Eine solche Vermehrung wäre nicht möglich gewesen, wenn die Insekten dort geblieben wären – aus Mangel an Nahrungsressourcen. Diese „Rückwanderungshypothese“ widerspricht einer anderen, verbreiteten Ansicht, wonach sich die Schmetterlinge hauptsächlich im Winterquartier vermehren, die Populationsgröße in Nordeuropa jedes Jahr einbricht und kein Rückflug im Herbst erfolgt. Nach der neuen Hypothese jedoch spielt sich die für die Arterhaltung wichtigere Lebensphase nicht im Süden, sondern in Nordeuropa ab.

Für ihren Langstreckenflug im Frühjahr nutzen die Gammaeulen schnelle Windströmungen in 200 bis 1000 Metern Höhe und können so pro Nacht 300 Kilometer in nördlicher Richtung zurücklegen. Milliarden von Insekten unterschiedlicher Arten wandern jährlich zwischen den gemäßigten Zonen und südlichen Breiten. Dazu zählen auch Arten, die wie die Gammaeule Pflanzenschädlinge sind. Andere können Krankheitserreger auf Mensch und Tier übertragen. Die Biologie dieser Tiere genauer zu studieren, wäre daher von wirtschaftlichem Interesse und könnte der öffentlichen Gesundheit zugute kommen.

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