Von wegen gut versorgt: Ackerbauern hungerten häufiger als Jäger und Sammler

Daten völkerkundlicher Aufzeichnungen widerlegen zudem eine bisher vermutete Ursache für die Zivilisationskrankheiten Diabetes und Fettleibigkeit
Traditionelle Form des Ackerbaus bei den Nuba im Sudan.
Traditionelle Form des Ackerbaus bei den Nuba im Sudan.
© United States Agency for International Development
London (Großbritannien) - Einer verbreiteten Hypothese zufolge war das menschliche Leben als Jäger und Sammler geprägt von einem ständigen Wechsel zwischen Hunger und Nahrungsüberfluss. In dieser Zeit sei es überlebenswichtig gewesen, dass der Körper die momentan verfügbare Nahrung effizient in Speicherfett umwandelt, um so die nächste Hungerphase überstehen zu können. Mit der Errungenschaft von Ackerbau und Viehzucht hätte sich dann die Nahrungsversorgung verbessert – aber ohne entsprechende Anpassung des Essverhaltens der Menschen. Deshalb läge darin eine der Hauptursachen für die heutige epidemieartige Ausbreitung von Fettleibigkeit und Diabetes. Jetzt widerlegen britische Forscher die Grundvoraussetzung dieser Hypothese: Menschen aus Jäger- und Sammler-Kulturen haben deutlich seltener unter Hunger gelitten als Völker mit bäuerlicher Lebensweise, berichten sie im Fachblatt „Biology Letters”.

„Unsere Studie zeigt erstmals, dass bei gleicher Qualität der Lebensräume Jäger und Sammler seltener – und nicht häufiger – hungerten als Menschen mit anderen Lebensweisen“, schreiben Julia Berbesque von der Roehampton University in London und ihre Kollegen. Sie analysierten völkerkundliche Aufzeichnungen, die aus der Zeit von Mitte des 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts stammten. Diese lieferten Angaben über Häufigkeit und Ausmaß von Hungerperioden präindustrieller Völker in 186 Regionen der Welt. Darunter waren 36 Jäger- und Sammler-Kulturen, von denen viele heute bereits nicht mehr existieren. Die übrigen Völker betrieben Viehhaltung oder unterschiedliche Formen des Ackerbaus.

Jäger und Sammler in kalten Klimaregionen waren erwartungsgemäß stärker von Hunger bedroht als Menschen, die bei gleicher Lebensweise in wärmeren Gegenden lebten. Ein kaltes Klima verstärkte aber den Druck zu kulturellen Anpassungen wie das Anlegen von Vorräten, Wanderungen über weite Strecken und komplexe Handelsverbindungen. Die meisten Völker von Jägern und Sammlern lebten in wärmeren Regionen und schnitten im Vergleich mit bäuerlichen Kulturen in ähnlichen Klimazonen eindeutig besser ab: Bei gleicher Qualität des Lebensraums traten Hungerperioden seltener auf und hielten weniger lange an. Eine mögliche Erklärung sehen die Forscher darin, dass Jäger und Sammler bei Dürren oder Überschwemmungen eher als Ackerbauern abwandern können, ohne damit ihre Nahrungsgrundlage zu verlieren. Die neuen Ergebnisse widersprechen auch speziellen Diätempfehlungen, in denen ein periodisches Fasten propagiert wird, weil das angeblich der natürlichen Ernährungsweise des Menschen entspricht.

Allein der Übergang zu einer landwirtschaftlichen Lebensweise reiche offenbar nicht aus, um die steigenden Raten an Fettsucht- und Diabetes-Erkrankungen zu erklären, so die Autoren. Von größerer Bedeutung dürfte die Art und ständige Verfügbarkeit von Lebensmitteln in den westlichen Industrieländern sein. Der Mensch hat eine natürliche Vorliebe für kalorienreiche Nahrungsmittel, also solche mit einem hohen Gehalt an Fett und Zucker. Diese waren früher – unabhängig von der Lebensweise – stets knapp. Für Jäger und Sammler in warmen Klimazonen war es sinnvoll, vorhandene Nahrung sofort und vollständig zu verzehren. Es wäre für sie nicht vorteilhaft gewesen, sie zu rationieren, zu speichern oder auf Kalorienbomben zu verzichten. Das ursprünglich sinnvolle Ernährungsverhalten unserer Vorfahren, schreiben die Forscher, erweist sich heute bei einem Überangebot kalorienreicher Lebensmittel als nachteilig für die Gesundheit.

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