Verstecken oder Fliehen: Ameisenkolonie reagiert auf Bedrohung wie ein einziger Organismus

Je nach Größe der Gefahr verhalten sich die Nestbewohner ganz unterschiedlich – so als würden sie über ein gemeinsames Nervensystem gesteuert
Knotenameisen der Art Temnothorax albipennis bilden Nester in Felsspalten oder unter Steinen.
Knotenameisen der Art Temnothorax albipennis bilden Nester in Felsspalten oder unter Steinen.
© Thomas O'Shea-Wheller, University of Bristol / Creative Commons Attribution License (CC BY 4.0), http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
Bristol (Großbritannien) - Eine Ameisenkolonie verhält sich in mancher Hinsicht wie ein einziger Organismus. Die einzelnen Ameisen entsprechen den Körperzellen und die Arbeitsteilung im Insektenstaat ist vergleichbar mit den verschiedenen Organen des Körpers. Auch die Reaktion auf unterschiedliche Arten räuberischer Angriffe ähnelt dem Verhalten eines Tieres nach einer Verletzung, berichten jetzt britische Biologen. So bewirkte eine simulierte Tötung von Nestbewohnern außerhalb des Nestes, dass sich die Insekten in ihre Behausung zurückzogen. Eine ähnliche Attacke im Innern des Nestes führte dagegen zur sofortigen Flucht der gesamten Kolonie, berichten die Forscher im Fachblatt „PLoS One“. Der „Superorganismus“ ist offenbar in der Lage, angemessen auf eine Bedrohung zu reagieren, je nachdem welche Teile seines „Körpers“ angegriffen werden.

„Aus unseren Ergebnissen lassen sich Parallelen ziehen zur Funktion des Nervensystems eines einzelnen Lebewesens. In beiden Fällen richtet sich die Reaktion nach dem Ort einer Schädigung“, sagt Thomas O'Shea-Wheller von der University of Bristol. „So wie unser Körper auf eine Verletzung mit Hilfe von Schmerz reagiert, steuert eine Ameisenkolonie ihre Reaktion auf den Verlust von Nestbewohnern über eine Art Gruppenbewusstsein”, so O'Shea-Wheller. Sein Forscherteam beobachtete das Verhalten von Knotenameisen der Art Temnothorax albipennis. Die Biologen sammelten 30 Kolonien dieser Ameisen, bestehend aus jeweils einer Königin und einem Dutzend bis wenigen hundert Arbeiterinnen. Als Nester im Labor dienten Plastikschalen mit einer Öffnung, durch die die Ameisen das Nest verlassen können, um die Umgebung zu erkunden oder Nahrung zu sammeln. In der Nachbarschaft eines jeden Nestes befanden sich weitere, für die Besiedlung geeignete leere Schalen.

Die Forscher simulierten zwei alternative Arten räuberischer Attacken: Sie entfernten entweder Kundschafterameisen aus der Umgebung der Kolonie oder entnahmen Arbeiterinnen aus dem Inneren des Nestes. In beiden Fällen verringerte sich dadurch die Zahl der Nestbewohner um durchschnittlich 16 Prozent. Auf noch unbekannte Weise registrierten die Kolonien den Verlust von Mitgliedern. Kehrten Kundschafter nicht mehr zurück, wurde das als eine außerhalb des Nestes lauernde Gefahr interpretiert. Die Reaktion bestand darin, dass vorübergehend keine weiteren Kundschafter ausgesandt wurden und Sammlerinnen sich ins Nest zurückzogen. Sank dagegen die Zahl der Ameisen im Innern des Nestes – das passiert, wenn ein Räuber eingedrungen ist – bedeutete das höchste Gefahr für Königin und Brut. Diese Bedrohung löste die schnelle Flucht der gesamten Kolonie und Übersiedlung in den nächstgelegenen Unterschlupf aus.

Diese beiden, an das jeweilige Gefahrenpotenzial angepassten Verhaltensweisen vergleichen die Autoren mit dem Zurückziehen der Hand bei einer Verbrennung am Herd einerseits, und der Flucht ins Freie, wenn das ganze Haus in Flammen steht, andererseits. Die Forscher vermuten, dass bei den Ameisen Alarm-Pheromone an der Steuerung des Verhaltens beteiligt sind. Dabei könnten im ersten Fall anziehend wirkende Duftstoffe die Ameisen davon abhalten, das Nest zu verlassen. Im anderen Fall wäre zu erwarten, dass abstoßende Pheromone die Flucht aus dem Nest auslösen.

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