Verschmutzte Ozeane: Seevögel als Müllsensor

Dank modernster Methoden eignen sich die Tiere besonders gut, um die Belastung der Meere mit Plastik und Umweltgiften zu bestimmen
Müllberge am ägyptischen Roten Meer in der Nähe von Safaga
Müllberge am ägyptischen Roten Meer in der Nähe von Safaga
© Vberger, Wikipedia, gemeinfrei
Winnipeg (Kanada) - Eine kleine Plastikflasche hüpft munter auf einer Welle herum und wird Richtung Ufer gespült. Sie ist nicht allein. Am Strand wartet neben unzähligen anderen Plastikflaschen noch weiterer Kunststoffmüll. In manchen Küstengebieten sammelt sich das Treibgut aus Abfall zuhauf an. Mitunter bauen Seevögel ihre Nester dann sogar aus Plastiktüten – so auch auf der kleinen, unbewohnten Nordseeinsel Mellum. Die Verschmutzung der Weltmeere ist ein massives Umweltproblem, eine erhebliche Gefahr für marine Ökosysteme weltweit. Zentraler Teil dieses Problems sind Tonnen von Plastikteilen, die auf und in den Ozeanen treiben und tagtäglich unzählige Lebewesen gefährden, die in und an den Gewässern leben. Durch die Meeresströmungen sammeln sie sich in manchen Gegenden in riesigen Teppichen. Außerdem werden sie von Wind, Wetter, Wellen und Sonneneinstrahlung immer feiner zerrieben und weiter zersetzt. Schließlich entstehen mikrofeine Partikel, die auch noch von den filigransten Meeresbewohnern aufgenommen werden.

Und nicht nur die Kunststoffe an sich, die zumeist selbst äußerst bedenkliche Stoffe wie Weichmacher oder Flammschutzmittel enthalten, stellen eine Bedrohung dar. Die Oberflächen von Plastikteilen wirken wie ein Magnet für weitere giftige Substanzen wie das Insektizid Dichlordiphenyltrichlorethan (DDT) oder Polychlorierte Biphenyle, so dass sich solche Umweltgifte dort konzentrieren. Diese Gifte dringen durch die Nahrungsnetze und -ketten immer weiter nach oben, erreichen Krebse, Fische und Meeresschildkröten ebenso wie Seevögel und Meeressäuger, bis sie schließlich sogar auf unseren Tellern landen. Nicht zuletzt deshalb ist es entscheidend, dieses Umweltproblem genauestens zu erforschen und zu verstehen, wie, wo und in welchem Ausmaß der Meeresmüll sich verbreitet und welche Folgen er hat. So fordert der WWF etwa ein weltweites und möglichst flächendeckendes Umweltmonitoring, das später auch zeigt, ob Schutzmaßnahmen überhaupt greifen. Nun erläutern zwei kanadische Forscher in einem wissenschaftlichen Ausblick in „Science“, dass Untersuchungen an Seevögeln sich besonders gut dazu eignen, Ausmaß und Details dieser Umweltbelastung auf die Spur zu kommen – besser als Meeressäuger wie Robben oder Wale. Studien an Seevögeln liefern ihren Ausführungen zufolge ein globales Bild des wachsenden Ausmaßes der Schadstoffe, die die Meere verschmutzen.

„Seevögel haben einige praktische Vorteile“, schreiben John E. Elliott von Environment Canada in Delta und Kyle H. Elliott von der University of Manitoba in Winnipeg. Die Tiere haben eine außerordentliche Reichweite über die Ozeane hinweg. Sie überwinden nicht nur weite Strecken bei der Futtersuche, sondern kehren auch einmal im Jahr zum Brüten in angestammte Gebiete zurück. An einem Nachmittag, so die Autoren, könne ein Biologe in einer Seevogelkolonie daher Proben von einem Meeresgebiet gewinnen, dessen Untersuchung mit einem Forschungsschiff Millionen von Dollar kosten würde. Außerdem lassen sich Vögel mit moderner Technologie gut verfolgen und man kann einzelne Individuen wieder einfangen und erneut untersuchen. So lässt sich erkennen, wo genau sich eine Giftstoffbelastung entwickelt. Plastikteilchen können Jahrzehnte herumtreiben, bis zur völligen Zersetzung kann es sogar drei bis vier Jahrhunderte dauern. Auch wenn ein Stoff längst schon verboten wurde, wird er noch lange durch die Meere treiben und kann weiterhin von Seevögeln aufgenommen und damit auch nachgewiesen werden.

Ob Plastiktüten, Kunststofflaschen, Einwegrasierer, Kisten, Eimer, Zahnbürsten oder mit bloßem Auge nicht sichtbare Kleinstteile – Plastik gelangt aus unterschiedlichen Quellen in die Meere. Sogar in Abwässern von Waschmaschinen reisen die Mikropartikel: Winzigste Kunststoffteilchen werden von synthetischen Fasern wie etwa Fleece-Stoffen abgespült und gelangen so in die Gewässer. Viele Kosmetikprodukte enthalten Kunststoffkleinstteile, die ebenfalls mit dem Abwasser weggeschwemmt werden. In manchen Gegenden liegen Müllkippen unmittelbar an Flussufern oder Küsten, mitunter werfen Menschen ihren Müll einfach in den Fluss – auch hierzulande. Der Weg bis ins Meer ist dann nur kurz. Noch schneller kommt Kunststoff in die Ozeane, wenn Fischern ihre Netze abhanden kommen, die dann als sogenannte Geisternetze durchs Wasser treiben, oder Schiffe Teile ihrer Ladung verlieren. Manchmal geht sogar der Schiffsabfall, trotz internationaler Verbote, einfach direkt über Bord. So sammelt sich der Unrat, wird mit den Meeresströmungen zusammengetragen – der Great Pacific Garbage Patch im Nordpazifik zum Beispiel ist so ein Müllstrudel, an dem einiges zusammenkommt. Das Ausmaß der Gesamtbelastung ist kaum überschaubar, zumal ein Großteil vermutlich zum Meeresgrund sinkt.

Viele Seevögel fressen die Plastikkleinteile. Der Kunststoff füllt den Magen und macht satt, besitzt aber keinerlei Nährwert. So kommt es häufig vor, dass Vögel mit vollem Magen verhungern. „Seevögel-Mägen enthalten regelmäßig hunderte von Plastikteilen“, schreiben Elliott und Elliott. Aber nicht nur der Mageninhalt verendeter Tiere ist aufschlussreich, um die Verbreitung von Plastikmüll in den Ozeanen zu untersuchen. Werden die Tiere nicht direkt von dem Müll umgebracht, so die beiden Forscher, können sie toxikologische Effekte durch die Verschmutzung erfahren. So liefern auch für die Vögel selbst harmlose Proben, etwa von Federn, Blut oder Gewebe, Informationen über unterschiedliche räumliche und zeitliche Verteilungen von Umweltgiften. Auch die fettreichen Eier eignen sich hervorragend, um die Ausbreitung bestimmter organischer Verbindungen zu studieren. Museumsexemplare können darüber hinaus helfen, diverse Schadstoffe auch in die Vergangenheit nachzuverfolgen. So lässt sich die Belastung mit Umweltgiften bis ins Detail bestimmen. Mit diesem Wissen, so die Hoffung vieler Experten, könnten sich die Ursachen der immensen Verschmutzung der Weltmeere besser und konsequenter bekämpfen lassen.

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