Ungewöhnliche Biowaffe: Kegelschnecken fangen Fische mit Insulin

Das ins Wasser abgegebene Hormon senkt den Blutzuckerspiegel der Beutetiere und macht sie dadurch schlapp und orientierungslos
Die nachtaktive Meeresschnecke Conus geographus erbeutet kleine Fische, die erst verschluckt und dann durch Gift getötet werden.
Die nachtaktive Meeresschnecke Conus geographus erbeutet kleine Fische, die erst verschluckt und dann durch Gift getötet werden.
© Kerry Matz / National Institute of General Medical Services
Salt Lake City (USA) - Im Meer lebende Kegelschnecken produzieren hochwirksame Nervengifte, mit denen sie ihre Beute töten. Zwei dieser Schneckenarten, die es speziell auf Fische abgesehen haben, erhöhen ihre Fangquote noch durch eine weitere chemische Waffe: In der Nähe eines Schwarms kleiner Fische geben sie aus ihrer Giftdrüse ein für diesen Zweck verändertes Insulin ins Wasser ab, berichten amerikanische Biologen. Das Hormon lässt den Blutzuckerspiegel der Fische schnell sinken. Diese Unterzuckerung führt zum hypoglykämischen Schock, verlangsamt deren Schwimmbewegungen und stört ihre Orientierung. Das erleichtert es den Schnecken, gleich mehrere Beutetiere in ihrem weit vorgestülpten Mund wie mit einem Netz zu fangen und dann durch injiziertes Gift zu töten, berichten die Forscher im Fachjournal „Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS)”.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass einige Fische jagende Kegelschnecken Insulin gezielt als Waffe zum Beutefang einsetzen“, schreiben Baldomero Olivera von der University of Utah in Salt Lake City und seine Kollegen. Das Hormon sei offenbar Bestandteil des sogenannten Nirvana-Nebels, einer Mischung von Toxinen, welche diese Schneckenarten erzeugen, nachdem sie sich nachts an einen ruhenden Fischschwarm angeschlichen haben. Mit der Giftwolke schwächen sie die Bewegungsaktivität der Fische und verhindern damit eine schnelle Flucht. Außerdem stören die Nervengifte wichtige Hirnfunktionen der Beute. Die zahlreichen Arten von Kegelschnecken der Gattung Conus haben sich auf unterschiedliche Beutetiere spezialisiert. Sie jagen entweder Würmer, Weichtiere oder Fische. Ihre wichtigste Waffe dabei sind verschiedene Nervengifte, die in einer Giftdrüse produziert und über einen stilettförmigen Zahn der Raspelzunge in die Beute injiziert werden. Einige dieser Conotoxine können sogar für Menschen tödlich sein.

Als die Biologen Genaktivitäten in den Zellen der Giftdrüse von Conus geographus und Conus tulipa analysierten, machten sie eine überraschende Entdeckung: Jede der beiden Spezies produzierte zwei Arten von Insulin. Die eine Molekülform entsprach der chemischen Struktur von Insulinen anderer Schnecken und Muscheln. Die zweite Form wies dagegen ungewöhnliche Besonderheiten auf. Das Hormon war chemisch so verändert, dass es der Molekülstruktur des Insulins von Fischen ähnelte. Den Forschern gelang es, dieses Insulin in größeren Mengen im Labor herzustellen. So konnten sie prüfen, ob das von den Kegelschnecken gebildete Fisch-Insulin bei Fischen eine Wirkung hat. Tatsächlich senkte das Hormon nach Injektion in Zebrafische deren Blutzuckerspiegel. Wurde es ins Wasser gegeben, reagierten Testfische darauf mit verringerter Bewegungsaktivität. Insulin kann, wie andere Untersuchungen ergeben hatten, aus dem Wasser über die Kiemen ins Blut gelangen.

Die im Lauf der Evolution erlangte Fähigkeit zur Bildung einer zweiten, an das Beutetier angepassten Insulinform verbessert als chemische Waffe den Jagderfolg. Von den Kegelschneckenarten, die Fische fressen, profitieren davon offenbar nur solche mit “Netzfangtechnik”. Denn bei Conus-Arten, die Fische nur durch direkte Giftinjektion erbeuten, fanden die Forscher keine Hinweise auf eine Produktion des Fisch-Insulins. Ob auch Kegelschnecken, die Würmer oder Weichtiere fangen, eine ihrer Beute entsprechende Form des Hormons bilden, ist noch nicht genauer untersucht. Insulin ist bisher noch nie als Bestandteil irgendeines tierischen Giftes nachgewiesen worden.

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