Tissue Engineering: Hirngewebe in 3-D
„Jetzt haben wir ein Modellsystem, mit dem wir die Antwort des Gewebes auf eine Hirnverletzung praktisch in Echtzeit verfolgen können“, sagt David Kaplan von der Tufts University in Medford. Um die natürliche dreidimensionale Struktur des Hirngewebes in einer Laborkultur besser nachzubilden, setzten Kaplan und seine Kollegen zwei unterschiedliche Biomaterialien ein: Aus dem Seidenprotein Fibroin formten sie eine poröse Masse, in deren Hohlräumen sich Neuronen anheften konnten. Ein hinzugefügtes Gel auf Kollagenbasis ermöglichte das Wachstum langer Zellfortsätze, der sogenannten Axone, die Kontakte zu anderen Zellen herstellten. In geeigneten Nährlösungen waren solche Kulturen mindestens neun Wochen lang lebensfähig und erzeugten elektrische Signale, die denen im Gehirn ähnlich waren.
Damit die Zellen in getrennten Schichten von grauer und weißer Substanz wachsen, erzeugten die Forscher zunächst ein ringförmiges Fibroingerüst, dem sie Neuronen aus Rattenembryonen hinzufügten. Ins Zentrum der Ringstruktur füllten sie dann das Gel. Die Zellen bildeten nun Axone, die die Gelschicht durchquerten, bis sie auf andere Zellen in der gegenüberliegenden Gerüstsubstanz trafen. Mit einer so strukturierten Gewebekultur – graue Substanz aus Zellkörpern im Ringbereich und zentrale weiße Substanz aus Axonen – lassen sich solche Erkrankungen des Zentralnervensystems besser erforschen, die sich auf beide Teile der Hirnzellen unterschiedlich auswirken. Eine derartige Anordnung von Neuronen kann mit der üblichen zweidimensionalen Gewebekultur oder bei Wachstum in einer homogenen Gelsubstanz nicht erreicht werden.
In weiteren Experimenten formten die Forscher 3-D-Strukturen aus sechs konzentrischen Ringen. Diese Gebilde ahmen die Hirnschichten des Neocortex in der menschlichen Großhirnrinde nach, die aus unterschiedlichen Typen von Neuronen aufgebaut sind. Schließlich simulierten die Wissenschaftler Hirnverletzungen, indem sie kleine Gewichte auf das künstliche Hirngewebe fallen ließen. Als Reaktion darauf setzten die Neuronen den Botenstoff Glutamat frei und erzeugten verstärkt elektrische Signale. Damit reagierten die Zellen auf ganz ähnliche Weise wie die Zellen von geschädigtem Hirngewebe im lebenden Organismus. Dank der neuartigen Gewebekultur können nun über einen längeren Zeitraum hinweg solche Prozesse erstmals in Echtzeit registriert und neue Therapien getestet werden.