Tissue Engineering: Hirngewebe in 3-D

Mit Hilfe einer porösen Gerüstsubstanz und einem Gel ist es Forschern gelungen, Gewebekulturen mit typischen räumlichen Strukturen der Hirnrinde anzuzüchten
Die an einer Gerüstsubstanz aus Seidenprotein (blau) haftenden Neuronen (grünlich gelb) bilden komplex vernetzte Strukturen, die denen im Gehirn ähneln.
Die an einer Gerüstsubstanz aus Seidenprotein (blau) haftenden Neuronen (grünlich gelb) bilden komplex vernetzte Strukturen, die denen im Gehirn ähneln.
© Tufts University
Medford (USA) - Um einzelne Funktionen des Gehirns und die Ursache von Hirnkrankheiten zu erforschen, sind Zell- und Gewebekulturen unentbehrlich. Bisher war es jedoch nicht gelungen, dreidimensional vernetzte Hirnzellen so anzuzüchten, dass ihre Struktur dem Hirngewebe entspricht. Jetzt sind amerikanische Forscher diesem Ziel einen großen Schritt nähergekommen. Sie kultivierten Nervenzellen von Ratten in einer schwammartigen Gerüstsubstanz, die von einem Gel umgeben war. Indem die Zellfortsätze in das Gel wuchsen und die Zellkörper in der Gerüstsubstanz blieben, entwickelten sich Gewebeschichten, wie sie als weiße und graue Substanz auch natürlicherweise im Gehirn vorliegen. Die Nervenzellen vernetzten sich, blieben mehrere Wochen lebensfähig und reagierten auf Gewebeschäden mit ähnlichen Signalen wie Hirnzellen im lebenden Tier, berichten die Wissenschaftler im Fachjournal „Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS)”.

„Jetzt haben wir ein Modellsystem, mit dem wir die Antwort des Gewebes auf eine Hirnverletzung praktisch in Echtzeit verfolgen können“, sagt David Kaplan von der Tufts University in Medford. Um die natürliche dreidimensionale Struktur des Hirngewebes in einer Laborkultur besser nachzubilden, setzten Kaplan und seine Kollegen zwei unterschiedliche Biomaterialien ein: Aus dem Seidenprotein Fibroin formten sie eine poröse Masse, in deren Hohlräumen sich Neuronen anheften konnten. Ein hinzugefügtes Gel auf Kollagenbasis ermöglichte das Wachstum langer Zellfortsätze, der sogenannten Axone, die Kontakte zu anderen Zellen herstellten. In geeigneten Nährlösungen waren solche Kulturen mindestens neun Wochen lang lebensfähig und erzeugten elektrische Signale, die denen im Gehirn ähnlich waren.

Damit die Zellen in getrennten Schichten von grauer und weißer Substanz wachsen, erzeugten die Forscher zunächst ein ringförmiges Fibroingerüst, dem sie Neuronen aus Rattenembryonen hinzufügten. Ins Zentrum der Ringstruktur füllten sie dann das Gel. Die Zellen bildeten nun Axone, die die Gelschicht durchquerten, bis sie auf andere Zellen in der gegenüberliegenden Gerüstsubstanz trafen. Mit einer so strukturierten Gewebekultur – graue Substanz aus Zellkörpern im Ringbereich und zentrale weiße Substanz aus Axonen – lassen sich solche Erkrankungen des Zentralnervensystems besser erforschen, die sich auf beide Teile der Hirnzellen unterschiedlich auswirken. Eine derartige Anordnung von Neuronen kann mit der üblichen zweidimensionalen Gewebekultur oder bei Wachstum in einer homogenen Gelsubstanz nicht erreicht werden.

In weiteren Experimenten formten die Forscher 3-D-Strukturen aus sechs konzentrischen Ringen. Diese Gebilde ahmen die Hirnschichten des Neocortex in der menschlichen Großhirnrinde nach, die aus unterschiedlichen Typen von Neuronen aufgebaut sind. Schließlich simulierten die Wissenschaftler Hirnverletzungen, indem sie kleine Gewichte auf das künstliche Hirngewebe fallen ließen. Als Reaktion darauf setzten die Neuronen den Botenstoff Glutamat frei und erzeugten verstärkt elektrische Signale. Damit reagierten die Zellen auf ganz ähnliche Weise wie die Zellen von geschädigtem Hirngewebe im lebenden Organismus. Dank der neuartigen Gewebekultur können nun über einen längeren Zeitraum hinweg solche Prozesse erstmals in Echtzeit registriert und neue Therapien getestet werden.

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