Terroranschläge: Medienkonsum kann krank machen

Permanente Berichterstattung von traumatischen Ereignissen kann dauerhafte Stresssymptome auslösen – selbst bei Menschen, die die bedrohliche Situation nicht selbst erlebt haben
Am Mahnmal für die Opfer des Bombenanschlags in Boston liegen Blumen und Nachrichten
Am Mahnmal für die Opfer des Bombenanschlags in Boston liegen Blumen und Nachrichten
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Irvine (USA) - Vergangenen April wurde Amerika von einem terroristischen Akt erschüttert, wie es ihn seit den Anschlägen vom elften September 2001 nicht mehr erfahren hatte: Zwei Bomben zündeten während des Boston-Marathons am 15. April mitten in der Menge, drei Menschen starben, knapp 300 wurden verletzt. Kameras von Reportern und Passanten filmten von der ersten Sekunde an mit. Menschen, die ein solches Ereignis unmittelbar miterlebt haben, sind davon oft nachhaltig traumatisiert und müssen meist psychologisch betreut werden. Doch wie amerikanische Forscher nun herausgefunden haben, kann die anhaltende Berichterstattung in den Medien selbst bei Menschen, die einen Anschlag nur aus der Ferne mitverfolgen, intensiven psychologischen Stress auslösen. Wer Schreckensnachrichten über TV, Radio und Internet sehr ausgiebig konsumiert, kann demnach sogar größere Traumata davontragen als jemand, der direkt vor Ort war, schreiben die Wissenschaftler im Fachblatt „Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS)“.

„Die extreme Medienreichweite erweitert die Grenzen lokaler Unglücke, übermittelt deren Folgen weit über die direkt Betroffenen hinaus und verwandelt die Katastrophen so in kollektive Traumata, die die Gesundheit gefährden“, sagt Roxane Silver von der University of California. Die Psychologin und ihr Forscherteam hatten nach dem Bombenattentat auf den Bostoner Marathon eine großangelegte Umfrage durchgeführt. Es zeigte sich, dass der tägliche Konsum mehrerer Stunden Berichterstattung über den Anschlag akute Stressreaktionen auch bei Menschen auslöste, die das Attentat weder miterlebt hatten noch in der betroffenen Region lebten.

Für ihre Erhebung befragten Silver und ihre Kollegen in den ersten vier Wochen nach dem Boston-Anschlag nicht nur Anwohner aus Boston, sondern auch eine Vergleichsgruppe aus New York sowie Amerikaner aus dem gesamten Staatengebiet. Die Probanden sollten angeben, ob sie das Ereignis direkt miterlebt hatten, wie viele Stunden diesbezüglicher Berichterstattung sie im Anschluss pro Tag konsumierten und welche Indizien für akuten Stress sie spürten. Besonders starke Stressreaktionen zeigten diejenigen, die täglich mindestens sechs Stunden lang Beiträge in den Medien verfolgten.

Die Studienergebnisse bestätigen frühere Experimente, bei denen Probanden als Reaktion auf traumatische Filme Flashbacks und anhaltende Angststörungen entwickelt hatten – Silver zufolge zwei Schlüsselprozesse bei der Entstehung einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Die psychische Erkrankung PTBS wird ausgelöst durch eine erfahrene extreme Bedrohung der eigenen oder einer anderen Person und kann unter anderem Depressionen, Persönlichkeitsveränderungen, Bindungsstörungen sowie aggressives und autoaggressives Verhalten nach sich ziehen.

Die Wissenschaftler vermuten, dass die wiederholte Konfrontation mit Nachrichten über Anschläge das Grübeln fördert und einen Kreislauf der Angst in Gang setzt. Sie warnen, die permanente Auseinandersetzung mit Furcht und Sorge durch exzessiven Medienkonsum könne akuten Stress in einen permanenten Belastungsfaktor verwandeln. „Obwohl es wichtig ist informiert zu bleiben, scheint das wiederholte Verfolgen von Nachrichten über traumatische Ereignisse psychologischen Stress zu verschärfen und den normalen Erholungsprozess zu verhindern“, sagt Silver. Dies könne letztlich auch bei Menschen außerhalb der betroffenen Regionen zu Gesundheitsproblemen wie Herzschwäche, Bluthochdruck und einem schlechteren Immunsystem führen.

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