TV-Junkie in der Kindheit – aggressiv als Erwachsener

Eine Langzeitstudie verweist auf die Verbindung von übermäßigem TV-Konsum in der Jugend und späterem antisozialen Verhalten
Risikofaktor für die soziale Entwicklung: Eltern sollten darauf achten, dass ihr Kind nicht zu viel Zeit vor dem Fernseher verbringt
Risikofaktor für die soziale Entwicklung: Eltern sollten darauf achten, dass ihr Kind nicht zu viel Zeit vor dem Fernseher verbringt
© Aaron Escobar, Creative Commons-Lizenz 2.0 Unported (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/deed.de)
Otago (Neuseeland) - Viel ist in den vergangenen Jahrzehnten bereits über die negativen Einflüsse exzessiven Fernsehkonsums auf Kinder diskutiert worden. Regelmäßig erscheinen neue Studien, die vor Folgen wie Hyperaktivität, Übergewicht und verzögerter Sprachentwicklung warnen. Neuseeländische Forscher haben nun die Ergebnisse einer Langzeitstudie vorgelegt, die auf den antisozialen Einfluss von viel Fernsehen in der Jugend verweist. Wer als Kind sehr viel vorm Flimmerkasten gesessen hat, unterliegt einem höheren Risiko, im Erwachsenenalter aggressive Persönlichkeitszüge zu entwickeln oder sogar kriminell zu werden, berichten die Autoren im Fachblatt „Pediatrics".

„Kinder verbringen viel Zeit vor dem Fernseher, und ein großer Teil der von ihnen konsumierten Sendungen zeigt Gewalt“, sagt Bob Hancox von der University of Otago. Zwar gebe es schon seit langer Zeit Bedenken, dass diese Einflüsse des Fernsehens auf Kinder zu späterem antisozialen Verhalten führen könnten. Doch auch nach fünf Jahrzehnten Forschungsarbeit bleibe das Thema kontrovers: „Der Großteil der bisherigen empirischen Untersuchungen konnte nicht unterscheiden, ob Kinder durch das Sehen gewalttätiger Programme Verhaltensstörungen entwickeln, oder ob diejenigen mit antisozialen Verhaltenstendenzen lieber gewalttätige Sendungen konsumieren“, so der Sozialmediziner. Viele der Studien hätten ihre Ergebnisse außerdem aus Kurzzeituntersuchungen gewonnen. Hancox und seinen Kollegen legen nun erstmals eine Untersuchung vor, die die Wirkung exzessiven TV-Konsums in der Jugend über einen langen Zeitraum verfolgt und die Probanden auf eine ganze Reihe antisozialer Handlungsweisen im Erwachsenalter untersucht hat.

Die Forscher beobachteten die soziale Entwicklung von etwa 1.000 Kindern, die zwischen 1972 und 1973 in der neuseeländischen Stadt Dunedin geboren worden waren. Ihre Familien gehörten allen sozioökonomischen Schichten an. Antisoziale Verhaltentendenzen im frühen Kindesalter der Teilnehmer hatten die Forscher über trainierte Interviewer und Befragungen von Eltern und Lehrern untersucht. Im Alter von 5 bis 15 Jahren waren die Eltern der Kinder und die Kinder selbst alle zwei Jahre nach ihrem Fernsehkonsum gefragt worden, insgesamt verfolgten die Versuchsleiter ihren Werdegang bis zum Alter von 26 Jahren. Um die die Zahl jener Probanden zu ermitteln, die später straffällig geworden waren, nutzte die Studie die Daten der nationalen Polizeibehörden. Antisoziale Persönlichkeitsstörungen sowie die Neigung zu emotionalen Störungen oder Aggressivität wurden im Alter von 18 bis 26 über diagnostische Befragungen ermittelt.

Die statistische Auswertung der Untersuchungen ergab einen klaren Zusammenhang zwischen der Dauer des TV-Konsums im Kindes- und Jugendalter und der späteren Neigung zu Straftaten, kriminellen Verhaltenweisen und antisozialen Persönlichkeitsstörungen: Das Risiko, im frühen Erwachsenenalter wegen einer kriminellen Handlung verurteilt zu werden, stieg mit jeder zusätzlichen Stunde, die die Probanden in der Jugend täglich vorm Fernseher verbracht hatten um 30 Prozent. Wie die Autoren betonen, können der gesellschaftliche und wirtschaftliche Status, die Erziehungsmethoden sowie frühkindliches aggressives Verhalten als Ursachen für den Zusammenhang zwischen Fernsehkonsum und der späteren Straffälligkeit ausgeschlossen werden. „Offenbar führt viel Fernsehen in der Jugend dazu, dass sich antisoziales Verhalten und Persönlichkeitsstörungen manifestieren“, erklärt Lindsay Robertson, Koautorin der Studie. Die Forscher vermuten, dass nicht nur gewalttätige Sendungen das antisoziale Verhalten fördern. Auch ein mit exzessivem Fernsehkonsum verbundener geringerer sozialer Umgang mit Freunden und Eltern sowie schlechtere schulische Leistungen seien mögliche Einflussfaktoren.

In Deutschland besitzen bereits 45 Prozent der Sechs- bis 13-Jährigen ein eigenes TV-Gerät. Und obwohl die Zahl anderer Unterhaltungsmedien in den letzten Jahren zugenommen hat, ist das Fernsehen nach wie vor die beliebteste Unterhaltungsform bei Kindern und Jugendlichen. Neue Technologie wie Fernsehen „on demand“ erweitern zusätzlich die Möglichkeit, dass Kinder ohne elterliche Aufsicht unangemessene Programme sehen. Die Autoren der Studie mahnen darum mit Verweis auf die Untersuchungsergebnisse an, den Fernsehkonsum bei Kindern zu kontrollieren. „Wir behaupten zwar nicht, Fernsehen verursache alle antisozialen Verhaltensweisen. Dennoch verweisen unsere Ergebnisse darauf, dass eine Verminderung des TV-Konsums auch die Raten antisozialen Verhaltens reduzieren kann“, sagt Bob Hancox.

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