Sonnenfinsternis am 20. März 2015 – Hype um drohenden Blackout

Netzbetreiber warnen vorsorglich vor Problemen - Energieexperten aber sehen dem vorhersehbaren Wegfall von Solarstrom gelassen entgegen
Sonnenfinsternis: So schob sich der Mond am 30. Januar 2014 vor die Sonne
Sonnenfinsternis: So schob sich der Mond am 30. Januar 2014 vor die Sonne
© NASA, SDO
Hamburg - Am Vormittag des 20. März 2015 wird es dunkel in Deutschland ... oder zumindest etwas dunkler. Denn zwischen halb zehn und kurz vor Mittag schiebt sich der Mond zwischen Sonne und Erde und blockiert bis zu 82 Prozent des Sonnenlichts. Diese partielle Sonnenfinsternis wird bei wolkenfreiem Himmel Millionen begeistern und zugleich die Stabilität des Stromnetzes auf die Probe stellen. So warnen jedenfalls die vier Betreiber der deutschen Übertragungsnetze – Amprion, Tennet, 50Hertz und TransnetBW. Der Grund: während der Abschattung könnte die Erzeugungsleistung der vielen Solaranlagen in Deutschland um bis zu 19.000 Megawatt sinken.

Ort, Ausmaß und Dauer der Sonnenfinsternis sind zwar bekannt, doch die möglichen Folgen für das deutsche Stromnetz stellen tatsächlich eine bislang noch nie eingetretene Herausforderung dar. Auch Wolken lassen die Stromausbeute der Solarzellen vergleichbar einbrechen, doch die Sonnenfinsternis wirkt sich fast zeitgleich auf ganz Mitteleuropa aus. Daher arbeiten die Netzbetreiber seit Monaten an einer geeigneten Regelungsstrategie, um das Stromnetz sicher auf seiner Frequenz von 50 Hertz zu stabilisieren und einen Blackout zu vermeiden.

Auch der europäische Verband der Netzbetreiber, Entso-E, schätzt die Folgen der Sonnenfinsternis für fast den ganzen Kontinent ab. Doch da knapp die Hälfte aller europäischen Solaranlagen mit über 89.000 Megawatt Leistung in Deutschland stehen, sind die Auswirkungen hier besonders zu beachten. Nur Norditalien mit einer vergleichbaren Dichte an Solarparks wird sich ähnlich wie Deutschland wappnen müssen.

„Doch es besteht keine Gefahr, da das Ereignis ganz gut planbar ist“, sagt Volker Quaschning, Energieexperte an der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft. Er muss es wissen, denn schon im vergangenen Jahr erstellte er mit seinen Kollegen eine umfassende Studie zum Einfluss der kommenden Sonnenfinsternis auf die deutsche Solarstromerzeugung. Dabei berücksichtigten sie die Lage der gut 1,4 Millionen über Deutschland verteilten Solaranlagen mit insgesamt über 39.000 Megawatt Leistung – ein wichtiger Faktor, da die Sonne im Norden zu mehr als 80 Prozent, in München lediglich zu höchstens 67,8 Prozent vom Mond verdeckt sein wird.

Jeder der vier Netzbetreiber ist zudem für eine Regelzone in Deutschland verantwortlich, die Quaschning und Kollegen einzeln betrachteten. An normalen, leicht bewölkten Tagen lassen sich Schwankungen in der Solarstromerzeugung zwischen den Regionen ausgleichen. Da die Sonnenfinsternis sich jedoch gleichzeitig auf ganz Deutschland auswirkt, fällt diese gegenseitige Unterstützung weg. Sollte am 20. März keine einzige Wolke am Himmel sein, werden die vier Netzbetreiber die Situation jeder für sich allein meistern müssen. „Aber sollte es bewölkt sein, wird die Stabilisierung des Stromnetzes kein Thema sein“, sagt Quaschning.

Herrscht Kaiserwetter, steigt der Bedarf an so genannter Regelleistung. Damit werden Schwankungen im Stromnetz binnen weniger Sekunden oder einiger Minuten ausgeglichen. Sie wirkt sowohl bei einem Strommangel als auch bei einem Stromüberschuss. Beide Fälle werden während der Sonnenfinsternis eintreten. Erst sackt die solare Stromerzeugung mit zunehmender Verschattung ab, danach steigt sie wieder an, bis die Sonne in ihrer kompletten Pracht wieder scheint. Aber bei einer Sonnenfinsternis geht das Licht nicht schlagartig aus und danach wieder plötzlich an. „In diesem Fall hätten wir wirklich ein Problem“, sagt Quaschning.

Schneller als während normaler Morgen- oder Abenddämmerungen verändert sich die Sonneneinstrahlung allerdings allemal. Quaschning und Kollegen berechneten dazu den so genannten Gradienten: So wird die Leistung der Solarkraftwerke während der ersten Hälfte um bis zu 272 Megawatt abnehmen, und während der zweiten Hälfte am späten Vormittag um bis zu 348 Megawatt zunehmen. Dies entspreche laut Quaschning dem 3,5-fachen der üblichen Leistungsänderungen der Solarmodule. So wird für einen sonnigen 20. März entsprechend mehr Regelleistung benötigt werden als an normalen Tagen. „So einen Fall hatten wir bisher tatsächlich noch nicht“, sagt der Energieexperte.

Allein der deutsche Kraftwerkspark bietet eine ausreichende technische Grundlage, um diese erhöhte Regelleistung bereitstellen zu können. So böten die deutschen Pumpspeicher, in denen Wasser hochgepumpt und durch Turbinen wieder abgelassen wird, der Berliner Studie zufolge genug Regelleistung, um die größten zu erwartenden Schwankungen ausgleichen zu können. „Aber wir haben ja auch noch Kohle- und Gaskraftwerke, die hoch oder runter gefahren werden können“, sagt Quaschning. Bei einsetzender Abschattung könnten diese ihre Leistung nach und nach steigern, um sie während der zweiten Hälfte der Sonnenfinsternis binnen einer Stunde wieder zu reduzieren. Doch die Bereitstellung dieser Regelleistung muss geplant werden.

Auf der Basis der Szenarien, die auch die Netzbetreiber seit Monaten ausgiebig durchspielen, wird spätestens am Vortag der Sonnenfinsternis auf der Basis einer verlässlichen Wettervorhersage Regelleistung für den Folgetag eingekauft. Die Netzbetreiber sichern sich damit vereinfacht beschrieben die Kontrolle über einen Teil der Kraftwerkparks. Diese Regelleistung können sie zuverlässig zum gewünschten Zeitpunkt einsetzen und das Stromnetz stabilisieren. Dabei darf – zusätzlich zur Sonnenfinsternis – auch das Risiko eines weiteren unerwarteten Kraftwerksausfalls nicht vernachlässigt werden. Im Extremfall behalten sich die Netzbetreiber vor, größere Verbraucher kurzfristig vom Stromnetz abzuklemmen. „Zu den Kosten lässt sich noch nichts sagen, da Umfang und Preis der zusätzlich notwendigen Regelleistung erst kurz vor der Sonnenfinsternis feststehen wird“, heißt es beim Netzbetreiber Tennet. Doch werden sie nur einen sehr geringen Anteil an den üblichen Netzentgelten ausmachen.

„Würden am 20. März minus 20 Grad herrschen, wäre die Herausforderung größer“, sagt Quaschning. Doch da ein solcher Kälteeinbruch extrem unwahrscheinlich ist, sei jede Art der Panikmache vor einem Blackout unangebracht. Selbst vor der nächsten totalen Sonnenfinsternis in Deutschland am 3. September 2081 mit völliger Dunkelheit für wenige Minuten müssten sich Kinder und Enkel nicht fürchten. Zur Dunkelheit wird dann zwar zusätzlich der Wind kurz einschlafen und die Windräder ruhen lassen. Doch sollten bis dahin leistungsfähige Stromspeicher entwickelt und installiert sein, um selbst längere Dunkelphasen mühelos überbrücken zu können.

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