Seestern oder Sehstern?

Die wirbellosen Meerestiere können doch weit besser sehen als gedacht – visuelle Fähigkeiten bisher völlig unterschätzt
Das Seesternauge besteht aus einzelnen optischen Einheiten (rote Strukturen im Bild). Ähnlich wie bei den Facettenaugen von Arthropoden ist es ein aus Einzelaugen zusammengesetztes Komplexauge - nur eben sehr primitiv.
Das Seesternauge besteht aus einzelnen optischen Einheiten (rote Strukturen im Bild). Ähnlich wie bei den Facettenaugen von Arthropoden ist es ein aus Einzelaugen zusammengesetztes Komplexauge - nur eben sehr primitiv.
© Dan-Erik Nilsson, Lund University
Valencia (Spanien) - Das Sehvermögen von Seesternen galt bislang als quasi kaum vorhanden. Mit ihren primitiven Augen an den Arm-Enden, so war die Annahme, können die wirbellosen Meerestiere lediglich rudimentär Helligkeitsunterschiede wahrnehmen, aber keinesfalls komplexere Informationen erkennen und verarbeiten. Falsch, berichtete ein dänisch-schwedisches Forscherduo jetzt auf der Jahrestagung der Society for Experimental Biology in Valencia. Seine Experimente zeigen: Seesterne sind durchaus fähig, mehr wahrzunehmen und den visuellen Input sogar gezielt für die Orientierung zu nutzen – etwa, um wieder zurück zu ihrem Riff zu finden.

„Die Ergebnisse zeigen, dass das Nervensystem des Seesterns in der Lage sein muss, visuelle Informationen zu verarbeiten“, erläuterte Anders Garm von der Universität Kopenhagen. Dies weise darauf hin, dass die Leistungsfähigkeit des Nervensystems der Stachelhäuter ganz klar unterschätzt wurde. Gemeinsam mit seinem Kollegen Dan-Eric Nilsson von der Universität Lund hatte Garm den Sehsinn des Blauen Seesterns (Linckia laevigata) unter die Lupe genommen. Besonders interessant sind die Verhaltensexperimente der Biologen. Sie versetzten die Tiere dabei aus dem heimischen Korallenriff auf den nahegelegenen Sandboden, gerade einmal einen Meter entfernt, und beobachteten die Reaktion auf diese kleine Entführung. Während die Seesterne im Lebensraum Riff reichlich Nahrung vorfinden, würden sie auf dem relativ kargen Meeresgrund verhungern. Die Forscher stellten fest: Die Stachelhäuter legten eindeutig durch das Sehvermögen geleitetes Verhalten an den Tag. Denn nur Exemplare mit intakten Augen steuerten zielstrebig wieder auf das Riff zu. Dagegen bewegten sich Seesterne ohne Augen zufällig in irgendeine Richtung.

Die Biologen konnten außerdem zeigen, dass die Augen des Blauen Seesterns zwar nur langsam arbeiten und farbenblind sind, aber durchaus ein Bild erzeugen können – wenn auch nur mit geringer räumlicher Auflösung. Der Bereich des sichtbaren Lichts, in dem ihr Auge außergewöhnlich empfindlich ist, eignet sich besonders gut dazu, den Kontrast zwischen Riff und offenem Meer zu erkennen.

„Unsere Ergebnisse liefern ein Beispiel für ein Auge, das lediglich Sicht mit geringer Auflösung unterstützt“, so die beiden Biologen. „Von einem evolutionären Standpunkt aus betrachtet ist dies besonders spannend“, erläuterte Garm. Denn die Morphologie des Seesternauges zusammen mit dessen Bildqualität liegt nahe bei dem, was man als ein essenzielles Stadium in der frühen Evolution der Augen ansieht. Die sehr simple Sicht mit diesen primitiven Augen ging vermutlich der Sicht mit höherer Auflösung voran, wie sie notwendig ist, um Beute, Räuber und Artgenossen entdecken zu können. Das Seesternauge könnte somit ein Bindeglied darstellen, wie es in der Augen-Evolution bisher noch gefehlt hat.

© Wissenschaft aktuell
Quelle: „Starfish vision and visually-guided behaviours”, Anders Garm, Dan-Eric Nilsson; SEB Valencia 2013, Poster session A11.112


 

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