Seeotter retten Seegraswiesen

Über eine Kettenreaktion sorgen die Tiere letztlich dafür, dass sich die Pflanzen von übermäßigem Algenbewuchs erholen können - Nutzen für Küsten- und Klimaschutz
Krabben sind eine Lieblingsspeise von Seeottern.
Krabben sind eine Lieblingsspeise von Seeottern.
© Ron Eby
Santa Cruz (USA) - Seeotter sind nicht nur drollig anzusehen, wenn sie sich auf dem Rücken treiben lassen und in aller Gemütsruhe eine Krabbe knacken. Welch tiefgreifende Bedeutung die Schwäche für diesen kleinen Snack haben kann, insbesondere in einem bereits angegriffenen Ökosystem, zeigt eine Studie von US-Biologen. Die Raubtiere können letzten Endes sogar die negative Folgen massiven Nährstoffüberschusses abmildern. Da sich ihre Beutevorlieben bis auf die Basis des Nahrungsnetzes auswirken, sorgen sie in ihrem Lebensraum dafür, dass sich Seegraswiesen wieder erholen können. Die Details der Kettenreaktion, über die dies geschieht, schildern die Forscher im Fachblatt „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS), anhand der Entwicklung der Seeotterpopulation im Elkhorn Slough, einer Mündungsregion an der Pazifikküste Kaliforniens. Seegraswiesen spielen eine große Rolle für den Schutz der Küsten und die Artenvielfalt.

„Das Seegras ist richtig grün und gedeihend, wenn viele Seeotter da sind, sogar im Vergleich zu Seegras in unverdorbenen Systemen ohne Nährstoffe im Überfluss“, sagt Erstautor Brent Hughes von der University of California in Santa Cruz. „Und wenn man sieht, dass sich Seegraswiesen erholen, besonders in einer so degradierten Umgebung wie Elkhorn Slough, dann will man wissen warum.“ Um den Dingen auf den Grund zu gehen, hatten die Biologen verschiedene Herangehensweisen kombiniert. Sie untersuchten, wie sich die Population der Seeotter und die Seegraswiesen im Elkhorn Slough über die vergangenen Jahrzehnte entwickelt hatten. Diese Langzeitdaten ergänzten sie mit Experimenten, in denen sie die Zusammenhänge in kleinem Maßstab nachstellten, sowie mit Versuchen im freien Feld.

Die Ergebnisse zeigen eine bemerkenswerte Kettenreaktion auf. Einen unmittelbaren Einfluss der Seeotter auf das Seegras gibt es nicht. Einen indirekten aber durchaus: Seeotter mögen Krabben. Diese kulinarische Vorliebe führt dazu, dass die Zahl der Krebstiere stark dezimiert wird, wenn viele Otter vor Ort sind. Krabben wiederum mögen Schnecken. Weniger Krabben bedeutet also mehr Schnecken und auch größere Schnecken. Diese wiederum mögen Algen – auch diejenigen Algen, die im Überfluss auf dem Blättern des Seegrases wachsen, weil in den Mündungsgewässern ein Überangebot an Nährstoffen herrscht. Mehr Schnecken fressen auch mehr Algen. Dies hat schließlich zur Folge, dass sich die Seegraswiesen von der Algenbelastung erholen können und wieder grünen und gedeihen.

Das Gewöhnliche Seegras (Zostera marina) spielt eine zentrale Rolle für die Ökologie eines Küstengewässers. Die Pflanzen bilden Seegraswiesen, die nicht nur die Küsten gegen Stürme und Wellen schützen, sondern auch ein wichtiger Lebensraum für viele Fischarten und andere Meeresbewohner sind. Und nicht zuletzt helfen die Seegraswiesen beim Abbau von Kohlendioxid. In sehr nährstoffreichen Gewässern aber leiden die Pflanzenteppiche enorm, weil der Nährstoffüberschuss Algen auf den Blattoberflächen gedeihen lässt – und zwar im Überfluss. „Dies sind wichtige Küsten-Ökosysteme, die wir verlieren“, erläutert Hughes. „Meistens hat man das mit Bottom-Up-Effekten wie Nährstoffüberschuss in Verbindung gebracht. Diese Studie zeigt, dass diese Ökosysteme auch von Top-Down-Kräften getroffen werden, wie sie dem Verlust eines Spitzenräubers zuzuschreiben sind.“

Die Analysen der Biologen beleuchten also: Für die Stabilität eines Ökosystems können sogenannte Top-Down-Effekte – von Räubern an der Spitze der Nahrungskette angetriebene Prozesse – eine ebenso zentrale Position einnehmen wie sogenannte Bottom-Up-Effekte – von der Basis der Nahrungskette ausgehende Effekte. „Das ist eine neue Perspektive für uns“, sagt Seniorautorin Kerstin Wasson von der University of California in Santa Cruz. Meist würde man in Mündungsgebieten den Bottom-Up-Ansatz ins Auge fassen, Sümpfe und Seegras zurückbringen und hoffen, dass der Rest schon damit einhergeht. „Aber in diesem Fall ist klar, dass man sich gleichzeitig auf die Spitze und die Basis des Nahrungsnetzes konzentrieren muss.“

Die Zahl der Seeotter im Elkhorn Slough unterlag in den vergangenen Jahrzehnten deutlichen Schwankungen. Nach einer Neubesiedlung ging ihre sowieso schon geringe Anzahl in den späten 1980er Jahren noch weiter zurück, stieg in den 90er Jahren aber wieder an. Nach einem erneuten Einbruch zu Beginn des neuen Jahrhunderts konnte sich die Population dann im vergangenen Jahrzehnt erholen. Diese Höhen und Tiefen spiegeln sich auch in den Seegraswiesen wieder. Sogar innerhalb der Mündungsregion sind dabei Unterschiede zwischen Bereichen mit vielen und wenigen Ottern zu bemerken: In Anwesenheit vieler Seeotter ist das Seegras gesünder.

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