Seeotter: Mütter am Limit

Die hohen eigenen Bedürfnisse zusätzlich zu denen des Jungen stellen eine so große Belastung dar, dass manches Seeotterweibchen das Mutterdasein nicht überlebt
Seeottermütter leben während der Jungenaufzucht an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit.
Seeottermütter leben während der Jungenaufzucht an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit.
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Santa Cruz (USA) - Seeottermütter leben während der Aufzucht ihres Jungen am absoluten Existenzminimum, eigentlich sogar jenseits ihres Limits. Sie benötigen für die Versorgung ihres Nachwuchses deutlich mehr Energie als sie ohne immense Anstrengungen aufbringen können. Grundsätzlich haben Seeotter einen nahezu unersättlichen Appetit, aufgrund ihres sehr hohen Energiebedarfs – der höchste aller im Meer lebenden Säugetiere. Allein um ihren recht kleinen Körper im kalten Wasser warm halten zu können, benötigen sie täglich rund ein Viertel ihres eigenen Gewichts als Futter. Doch in welchem Ausmaß genau vor allem Mütter, die ihr Junges versorgen, unter Stress stehen, war bisher nicht bekannt. Tatsächlich existieren Seeotterweibchen in dieser Zeit an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit, konnten US-Biologen nun mit Hilfe ausführlicher Stoffwechselanalysen belegen, die sie im „Journal of Experimental Biology“ präsentieren. Und obwohl Seeotter für gewöhnlich nur ein Junges zur Welt bringen, überlebt manches Weibchen das Mutterdasein nicht.

„Weder die energetischen Anforderungen nicht ausgewachsener Seeotter noch die Kosten des Säugens bei erwachsenen Weibchen waren bisher quantifiziert worden”, erläutert Nicole Thometz von der University of California at Santa Cruz. Thometz und ihre Kollegen hatten für ihre Untersuchungen mit jungen Seeottern (Enhydra lutris) gearbeitet – sowohl mit 26 wildlebenden Tieren als auch mit 8 weiteren Artgenossen, die als Jungtiere gestrandet und bei einem Rehabilitationsprogramm am kalifornischen Monterey Bay Aquarium aufgezogen wurden. Im Labor konnten die Biologen anhand des Sauerstoffverbrauchs den Stoffwechselumsatz bei verschiedenen Tätigkeiten bestimmen, von Ruhen über Schwimmen bis zur Futtersuche. So fanden sie heraus, welche energetischen Ansprüche die jungen Seeotter in unterschiedlichen Lebensabschnitten bis zum Erwachsenenalter haben. Das Verhalten von wildlebenden erwachsenen Weibchen und heranwachsenden Seeottern beobachteten die Forscher außerdem mit Hilfe von Funksendern und Fernrohr. Diese tagtäglichen Aktivitäten kombinierten sie mit den Daten aus dem Labor und kalkulierten daraus die energetische Belastung, welche die Versorgung ihrer Jungen für die Mütter bedeutet.

Die Kalkulationen ergaben: Von der Geburt bis zur Entwöhnung nach rund 180 Tagen investiert eine Seeottermutter eine Energiemenge, die 100 Prozent ihrer eigenen Körpermasse deutlich überschreitet – zusätzlich zu dem, was sie selbst zum Überleben braucht. Würde sie dazu ausschließlich von ihren Reserven zehren, würde sie also – rein rechnerisch – mehr Körpergewicht verlieren als sie selbst besitzt und infolgedessen mit Sicherheit sterben. „Offensichtlich müssen weibliche Seeotter während der Jungenaufzucht ihre Bemühungen bei der Futtersuche merklich erhöhen“, schreiben Thometz und Kollegen. Seeottermütter sind also gezwungen, in einer Zeit, in der sie selbst bereits am absoluten Limit ihrer Leistungsfähigkeit sind, noch mehr Energie aufzubringen und in die Futtersuche zu stecken. Und selbst wenn die Jungen nicht länger gesäugt werden und anfangen, für sich selbst zu sorgen, kehren sie weiterhin zur Mutter zurück, welche sie immer noch mit Nahrung unterstützt. Für die Weibchen bedeutet dies, dass sie nur unmittelbar nach der Entwöhnung eine kurze Phase haben, in der sie nicht über die Maßen beansprucht sind.

Die sowieso schon hohen eigenen Bedürfnisse zusätzlich zu denen des Jungen könnten demnach ein plausibler Grund dafür sein, dass sich manche Seeottermutter sogar so sehr verausgabt, dass sie an der Gesamtbelastung stirbt. Andere entwöhnen ihr Junges gezwungenermaßen so früh, dass sie zwar selbst überleben, das Überleben des Nachwuchses aber unsicher ist. Manche verlassen es schon gleich nach der Geburt. Das tun laut Thometz vor allem diejenigen Seeotterweibchen, die selbst in schlechter Verfassung und vermutlich nicht in der Lage sind, ihre Jungen adäquat zu versorgen. So erhöhen sie die Chance, dass sie in der nächsten Saison ein Junges aufziehen. „Die optimale Entscheidung könnte sein“, so Thometz, „die Verluste einzuschränken.“

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