Schon nach einer Woche: Simulierte Blindheit verbessert Gehör

Bereits bei kurzzeitigem Aufenthalt im Dunkeln verändern sich bei Mäusen Hirnzellen im Hörzentrum so, dass die Tiere empfindlicher auf Töne reagieren
Nervenfortsätze (grün) verbinden den Thalamus mit Neuronen (rot) im Hörzentrum der Großhirnrinde (Zellkerne = blau).
Nervenfortsätze (grün) verbinden den Thalamus mit Neuronen (rot) im Hörzentrum der Großhirnrinde (Zellkerne = blau).
© Emily Petrus and Amal Isaiah
College Park (USA) - Blinde haben ein schärferes Gehör. Warum der Verlust einer Sinneswahrnehmung die Leistung eines anderen Sinnes verbessern kann, haben amerikanische Forscher jetzt bei Mäusen untersucht. Nach nur einer Woche in völliger Dunkelheit reagierten die Tiere empfindlicher auf leise Töne und konnten unterschiedliche Tonhöhen besser unterscheiden als zuvor. Die gesteigerte Hörleistung war verbunden mit einer beschleunigten Weiterleitung von Signalen im Hörzentrum des Gehirns. Möglicherweise wäre eine vorübergehende simulierte Blindheit auch bei der Behandlung von verringertem Hörvermögen beim Menschen hilfreich, schreiben die Wissenschaftler im Fachblatt „Neuron“.

Diese Ergebnisse könnten dazu beitragen, neue Therapien zu entwickeln, um Menschen mit Hörverlust oder Tinnitus zu behandeln, sagt Patrick Kanold von der University of Maryland in College Park, einer der leitenden Mitglieder des Forscherteams. Noch ist nicht bekannt, wie lange ein Mensch im Dunkeln verbringen müsste, damit sich die Wahrnehmung von Tönen so verbessert, wie in den Tierversuchen. Die Forscher hielten gesunde, erwachsene Mäuse sechs bis acht Tage lang in absoluter Dunkelheit. Nachdem ein normaler Hell-Dunkel-Rhythmus wiederhergestellt war, hatte sich ihr Sehvermögen nicht verändert. Aber sie hörten deutlich besser: Sie konnten geringere Lautstärken wahrnehmen und Tonhöhen genauer unterscheiden.

Diese Veränderung ließ sich auf veränderte Eigenschaften von Neuronen im Hörzentrum der Großhirnrinde, dem auditorischen Cortex, zurückführen. Die Neuronen leiteten die beim Hören aus der Hirnregion des Thalamus empfangenen Signale schneller weiter. Außerdem hatten sie nach der Dunkelphase mehr Kontakte zu anderen Zellen – sogenannte Synapsen – gebildet. Bisher glaubte man, dass sich Nervenverschaltungen in dieser Hirnregion bei Erwachsenen nicht mehr verändern können. Wahrscheinlich sei diese Flexibilität von Zellen der Großhirnrinde eine Eigenschaft aller Säugetiere, sagt Kanold. Deshalb seien die Ergebnisse der Tierversuche wohl auch auf den Menschen übertragbar. Ein „multisensorisches“ Training könnte vielleicht bei der Behandlung einer nachlassenden Sinneswahrnehmung helfen. Allerdings fiel die Hörleistung der Mäuse, die eine Woche in Dunkelheit verbracht hatten, nach wenigen Wochen unter Normalbedingungen wieder auf das Ausgangsniveau zurück. Daher wollen die Forscher zunächst herausfinden, ob es möglich ist, die positiven Veränderungen auch dauerhaft zu erhalten.

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