Politische Einstellungen bremsen Mitgefühl

Menschen übertragen Empathie nicht auf jene, die sie als sehr anders empfinden – auch politisch
Ann Arbor (USA) - Menschen haben zwar die Fähigkeit, sich in Andere hineinzuversetzen und mitzufühlen, besonders wenn diese leiden. Doch das hat auch Grenzen, berichten jetzt US-Forscher: Die Empathie endet, wenn „die Anderen“ politisch sehr abweichende Ansichten haben – in den USA etwa überzeugte Republikaner gegenüber Demokraten. Solche stark unterschiedlichen Weltsichten führen offenbar dazu, diese Mitmenschen als sehr andersartig und nicht dazugehörig zu empfinden, berichten die Forscher im Fachblatt „Psychological Science“. Ihre Ergebnisse könnten erklären helfen, weshalb nicht Jeder mit Obdachlosen oder fremd aussehenden Opfern Mitleid empfindet.

„Politische Werte sind emotional belegt. Menschen können sich da furchtbar aufregen”, erklärt Ed O'Brien von der University of Michigan. So hatten frühere Studien gezeigt, dass sich dadurch zwischenmenschlich tiefe Gräben auftun können. Also untersuchten O’Brien und Phoebe C. Ellsworth nun, wie stark sich gegensätzliche politische Ansichten auf das Miteinander und Mitgefühl auswirken. Sie konzentrierten sich dabei auf tief sitzende, innere Zustände wie Hunger, Durst oder Frieren, die man dringend ändern will. Normalerweise projizieren Menschen solche Gefühle auf andere, nach dem Prinzip: Stehen wir beide in der Kälte, fühle ich mit Dir, weil Du sicher auch frierst.

Für ihre Studie befragten die Forscher zunächst zwei Gruppen von Testpersonen, von denen die erste im kalten Winter an einer Bushaltestelle wartete, die zweite warm in der benachbarten Bibliothek saß. Alle Probanden lasen eine kurze Geschichte über einen Wanderer, der sich im Winter ohne Essen, Wasser und Zusatzkleidung verirrt. Auch dessen politische Orientierung wurde erwähnt: als linker Demokrat und Unterstützer homosexueller Rechte – oder als republikanischer Befürworter traditioneller Ehen. Dann sollten die Leser einschätzen, wie hungrig, durstig oder frierend sich der Wanderer wohl fühlte. Es zeigte sich: Testpersonen mit derselben politischen Weltsicht wie der fiktive Wanderer schätzten ihn ebenso kalt ein wie sich selbst – die Menschen an der Bushaltestelle als sehr frierend und die in der Bibliothek als nicht so frierend. Damit bestätigten sie frühere Studien. Doch jene Testpersonen, die politisch anderer Ansicht waren, projizierten ihr Gefühl überraschenderweise nicht auf den Wanderer: Sowohl an der Bushaltestelle als auch in der Bibliothek schätzen sie seine Temperatur vergleichbar ein. Ähnlich verlief ein zweites Experiment mit Testpersonen, die zum Teil salzige Snacks gegessen hatten und nach dem Durst des Wanderers gefragt wurden.

Das unerwartete Ergebnis zeigt die Tendenz, eigene Gefühle und Bedürfnisse nicht auf solche Menschen zu projizieren, die sich sehr von einem selbst unterscheiden – selbst wenn die Bedürfnisse wie Frieren oder Durst gerade sehr präsent und dringend sind. Entsprechend könnte die Studie erklären, weshalb manche Menschen für hungrige Obdachlose wenig Mitgefühl empfinden, selbst wenn sie selber hungrig sind. Offenbar empfinden sie die Obdachlosen als sehr verschieden von sich, ergänzt O’Brien: „Selbst wenn Du die gleichen Schmerzen fühlst, musst diese Verbindung nicht unbedingt Deine Meinung von Menschen ändern, die sehr, sehr anders sind als Du.“

© Wissenschaft aktuell
Quelle: „More than skin deep: Visceral states are not projected onto dissimilar others.”, Ed O'Brien & Phoebe C. Ellsworth; Psychological Science
DOI: 10.1177/0956797611432179


 

Home | Über uns | Kontakt | AGB | Impressum | Datenschutzerklärung
© Wissenschaft aktuell & Scientec Internet Applications + Media GmbH, Hamburg