Persönlichkeit und IQ: Kaum Unterschiede zwischen Erstgeborenen und Nesthäkchen

Nach den Ergebnissen einer großen Studie sind geringe Unterschiede in Charakter und Intelligenz zwischen Geschwistern aufgrund der Geburtenfolge zwar vorhanden, fallen aber im persönlichen Kontakt nicht auf
Die Reihenfolge der Geburt hat wenig Einfluss auf Persönlichkeitsmerkmale von Geschwistern.
Die Reihenfolge der Geburt hat wenig Einfluss auf Persönlichkeitsmerkmale von Geschwistern.
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Urbana-Champaign (USA) - Angeblich sind Erstgeborene verantwortungsbewusster, gewissenhafter und dominanter als die jüngeren Geschwister. Diese dagegen seien meist gelassener und geselliger und würden in ihrer intellektuellen Entwicklung durch die Eltern weniger gefördert als die älteren. Ob und in welchem Maße sich die Reihenfolge der Geburt tatsächlich auf die Entwicklung von Persönlichkeit und Intelligenz auswirkt, haben amerikanische Psychologen jetzt erneut geprüft. Nach den Ergebnissen der bisher größten Studie zu diesem Thema sind die Effekte zwar messbar, aber äußerst gering und im persönlichen Kontakt nicht festzustellen, schreiben die Forscher im „Journal of Research in Personality”. Von wesentlich größerer Bedeutung als die Geburtenfolge seien für die Entwicklung eines Kindes wahrscheinlich andere Faktoren, insbesondere das Geschlecht sowie Einkommen und soziale Stellung der Eltern.

„Die Botschaft dieser Studie für Eltern ist: Sie sollten sich bei der Kindererziehung eher nicht von der Geburtenfolge beeinflussen lassen, weil diese für Persönlichkeit und IQ ohne Bedeutung ist“, sagt Rodica Damian von der University of Illinois in Urbana-Champaign. Die gemessenen Unterschiede in den Persönlichkeitsmerkmalen seien so gering, dass es niemandem auffallen würde, ergänzt Projektleiter Brent Roberts. Es gebe verschiedene Gründe dafür, warum die bisherigen Studien dazu keine übereinstimmenden Resultate geliefert hätten. So sei es unter anderem schwierig, sämtliche Einflussfaktoren wie Alter und Geschlecht der Testpersonen, Gesamtzahl der Geschwister, Familienstruktur und sozio-ökonomische Stellung der Eltern bei der Auswertung zu berücksichtigen. Zudem sei der statistische Nachweis sehr geringer Unterschiede nur mit einer sehr großen Zahl an Probanden möglich.

Die Psychologen werteten Daten von ursprünglich 377.000 Highschool-Schülern aus, die durchschnittlich 16 Jahre alt waren und mindestens einen Bruder oder eine Schwester hatten. Von dieser repräsentativen Stichprobe nahmen schließlich 263.712 an der Studie teil, darunter 36 Prozent Erstgeborene. Mit Hilfe mehrerer Fragenkataloge erhielten die Forscher Angaben über die Struktur und Lebensverhältnisse der Familien sowie Informationen über zahlreiche Persönlichkeitsmerkmale wie Emotionalität, Verantwortungsbewusstsein, Impulsivität, Selbstvertrauen, Geselligkeit und Ordnungsliebe. Spezielle Tests bewerteten verbale und mathematische kognitive Fähigkeiten sowie räumliches Vorstellungsvermögen und ermöglichten die Berechnung des IQ. Die Studie war so konzipiert, dass nicht die Geschwister innerhalb einer Familie miteinander verglichen wurden, sondern jeweils gleichaltrige Erstgeborene und später Geborene verschiedener Familien.

Erstgeborene erwiesen sich als gewissenhafter und dominanter sowie weniger ängstlich, gesellig und neurotisch als die anderen. Die Unterschiede waren zwar statistisch relevant, aber so gering, dass sie nach Ansicht der Autoren für die Entwicklung der Persönlichkeit keine Rolle spielen dürften. Das gelte auch für den im Schnitt um einen Punkt höheren IQ der Erstgeborenen, der sich hauptsächlich in besseren verbalen Fähigkeiten bemerkbar machte. „Die Leute sagen: ‚Mein erstgeborenes Kind ist verantwortungsbewusster als mein jüngstes.' Ja klar, es ist ja auch das älteste“, sagt Roberts. Will man die Persönlichkeit von Geschwistern innerhalb einer Familie vergleichen, müssten alle Kinder im gleichen Alter getestet werden. Eine derartige Langzeitstudie gebe es noch nicht. Es sei außerdem anzunehmen, dass sich bei Zehnjährigen größere Unterschiede ergeben als bei 16-Jährigen, die bereits unabhängiger von der Familie sind. Für die Persönlichkeit eines Erwachsenen könnte es dann völlig irrelevant geworden sein, ob sie in einer Familie mit älteren oder nur mit jüngeren Geschwistern aufgewachsen sind.

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