Neue Hinweise: Wann stieg der Mensch vom Baum?

An den aufrechten Gang angepasste Skelettstruktur von Fußgelenk und Fuß bedeutet nicht, dass regelmäßiges Klettern in den Bäumen ausgeschlossen ist
Die Twa in Uganda klettern auf der Suche nach Honig regelmäßig auf Bäume.
Die Twa in Uganda klettern auf der Suche nach Honig regelmäßig auf Bäume.
© Nathaniel Dominy
Hanover (USA) - Kletterst Du noch oder läufst Du schon? Wann genau der Mensch von den Bäumen herab- und auf ein Leben am Boden umstieg, ist bislang nicht eindeutig geklärt. Vorfahren des modernen Menschen lebten noch überwiegend in den Ästen und Wipfeln. Das belegen Fossilfunde. Die uralten, knöchernen Überreste lassen Rückschlüsse darauf zu, ob der Körperbau eher auf Klettern oder primär auf Laufen ausgelegt war. Vor rund 3,5 Millionen Jahren trat mit Australopithecus afarensis dann ein regelrechter Zweibeiner auf den Plan – mit „Lucy“ als wohl bekanntestem fossilen Vertreter. Lucy beherrschte den aufrechten Gang auf zwei Beinen, soweit sind Anthropologen sich immerhin einig. Doch inwieweit war sie trotzdem noch in der Lage, sich auch auf den Bäumen zu bewegen?

Dem sind US-Anthropologen nun auf den Grund gegangen, indem sie heute lebende Angehörige von Jäger-und-Sammler-Völkern näher beobachteten, deren Anatomie analysierten und mit der von benachbarten Bauerngesellschaften verglichen. Ihr Fazit: Selbst der moderne Mensch kann immer noch ein effektiver Kletterer sein, berichten sie im Fachblatt „Proceedings of the National Academy of Sciences“. Die entscheidenden anatomischen Strukturen liegen dabei ihren Erkenntnissen zufolge weniger im knöchernen Aufbau von Fuß und Fußgelenk als vielmehr in der Beschaffenheit der Wadenmuskulatur.

„Australopithecus afarensis besaß ein wenig flexibles Fußgelenk und einen gewölbten, nicht zum Greifen geeigneten Fuß“, schreiben Nathaniel Dominy und seine Kollegen vom Dartmouth College in Hanover. „Diese Eigenschaften“, erklärt der Anthropologe, „werden weitgehend so interpretiert, dass sie funktionell inkompatibel mit Klettern sind und somit ein definitives Anzeichen von einem Leben am Boden.“ Ganz so einfach und eindeutig ist das alles aber nun doch nicht, zeigen die Studien von Dominy und seinen Kollegen. Die Forscher verglichen zwei Gesellschaften von Jägern und Sammlern in Uganda und auf den Philippinen – die Twa und die Agta – mit deren benachbarten Gesellschaften von Ackerbauern – den Bakiga und den Manobo. Die Twa und Agta klettern auf der Suche nach Honig regelmäßig auf Bäume. Dabei laufen sie sozusagen an den Stämmen dünner Bäume nach oben, indem sie mit den Händen den Stamm umfassen und die Fußsohlen an den Baum stemmen. Dadurch wird der Fuß in einem außerordentlichen Maß nach oben zum Unterschenkel hin gebogen, konnten die Anthropologen beobachten.

Aus einer Sammlung der Universität Genf hatten die Forscher auch menschliche Überreste untersucht, die von vermutlich kletternden Individuen stammten. Dort fanden sie keine Besonderheiten an Knochen und Gelenken, welche diese extreme Beugungsfähigkeit erklären würden. Daher suchten sie bei den Naturvölkern im Muskelaufbau nach Unterschieden zwischen den beiden Lebensweisen. Mit Hilfe von Ultraschalluntersuchungen analysierten sie die Beschaffenheit der Wadenmuskulatur. Sie verglichen die Länge des Musculus gastrocnemius – zu Deutsch Zweiköpfiger Wadenmuskel – bei allen vier Gruppen. Und tatsächlich: Bei den kletternden Twa und Agta fanden sie längere Muskelfasern. Eine an den aufrechten Gang angepasste Skelettstruktur von Fußgelenk und Fuß bedeutet demnach nicht zwingend, dass sicheres und regelmäßiges Klettern in den Bäumen ausgeschlossen ist.

Dieses Ergebnis lege nahe, dass das gewohnheitsmäßige Klettern der Twa und Agta die Muskelarchitektur verändert, die mit der Beugung zum Fußrücken hin verbunden ist, schreiben Dominy und Kollegen. Ein solcher Wadenmuskel erleichtere das Klettern mit einem an den zweibeinigen Gang angepassten Fußgelenk und Fuß, indem der Kletterer sich so näher am Baum positionieren kann. Es könne sich somit um einen der Mechanismen handeln, die es Jägern und Sammlern ermöglichen, sicher in die Baumkronen zu gelangen. „Angesichts dessen, dass wir keine das Skelett betreffende Entsprechung für das beobachtete Verhalten gefunden haben“, fassen die Anthropologen zusammen, „bedeuten unsere Ergebnisse, dass die mit dem zweibeinigen Gang einhergehenden Aspekte des menschlichen Fußgelenks mit vertikalem Klettern und der Beschaffung von Ressourcen aus Bäumen kompatibel bleiben.“

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