Mythos Multimedia-Multitasking

Fernsehen bei Computerarbeit stört intensiver als vermutet
Chestnut Hill (USA) - Das Nebenbei-Fernsehen lenkt mehr ab als bisher gedacht. Wer glaubt, seine Aufmerksamkeit zwischen Computer und Fernseher gut verteilen zu können und effektiv beide Informationen aufzunehmen, betrügt sich offenbar selbst. Wie eine US-Studie zeigt, sind die Ablenkung und das Wechseln zwischen beiden Medien weit höher als von den Forschern erwartet. Die Teilnehmer der Studie verlagerten ihre Aufmerksamkeit rund 120 Mal in einer halben Stunde. Zudem waren sie sich dessen nicht einmal bewusst, berichten die Wissenschaftler im Fachblatt "Cyberpsychology, Behavior, and Social Networking" (doi:10.1089/cyber.2010.0350). Ihre Ergebnisse bestätigen nicht nur die Befürchtungen von Eltern, ihr Nachwuchs könne sich bei laufendem Radio oder Fernsehen nicht auf die Hausaufgaben konzentrieren. Sie liefert auch Marketingexperten Hinweise, wie sie ihre Werbebotschaften setzen müssten, um bei geteilter Aufmerksamkeit, die in der modernen Welt immer üblicher wird, den höchsten Effekt zu erzielen.

"Wenn Menschen versuchen, bei mehreren Medien gleichzeitig aufmerksam zu sein, wechseln sie mit einer erstaunlichen Häufigkeit hin und her", erklärt S. Adam Brasel, Marketing-Professor am Boston College. "Wir hatten schon viel erwartet, doch die Frequenz des Wechselns und das Ausmaß der Ablenkung waren wirklich schockierend." Gemeinsam mit seinem Kollegen James Gips wollte Brasel die Frage untersuchen, ob und weshalb Medien-Multitasking ablenkend wirkt. Die 42 Studienteilnehmer, Männer und Frauen zwischen 28 und 65 Jahren, saßen in einen Raum mit Fernseher und Computer und bekamen eine halbe Stunde Zeit zur Nutzung beider Medien. Ein Kamerasystem verfolgte ihre Augenbewegungen, um die physischen Anforderungen und die vermutlichen Störungen zu verstehen, die ein Wechsel zwischen Fernsehen und Computer auslöst.

Ständiger Wechsel läuft unbewusst

Tatsächlich verlagerten die Probanden ihre Aufmerksamkeit im Schnitt alle 14 Sekunden von einem zum anderen Medium. Der Computer war zwar attraktiver, in 68,4 Prozent der Zeit bekam er die Aufmerksamkeit. Doch auch diese war in viele kurze Stücke geteilt: Junge wie alte Probanden schauten im Schnitt weniger als zwei Sekunden auf den Fernseher und weniger als sechs Sekunden auf den Computer. Nur selten blickte jemand länger als eine Minute auf einen der beiden Bildschirme - beim Rechner geschah dies nur in 7,5 Prozent der Fälle, beim Fernseher gar nur bei 2,9 Prozent.

Und obendrein waren die Menschen sich dieses Handelns nicht bewusst. Die Teilnehmer dachten, sie hätten innerhalb der halben Stunde etwa 15 Mal zwischen beiden Medien hin und her geschaut. Tatsächlich war es durchschnittlich 120 Mal. Und selbst wenn schnelle Seitenblicke unter 1,5 Sekunden Dauer nicht gezählt wurden, wechselten die Teilnehmer noch immer 70 Mal in der halben Stunde. Das wechselhafte Verhalten galt auch für jene Personen, die dachten, sie würden nur während der TV-Werbepausen auf den Computer schauen, oder jene, die nur fernzusehen dachten, während eine Webseite lud.

Veränderte Welt der Medienwahrnehmung

"Ganz eindeutig gelten nicht länger die Regeln, die wir für die Mono-Medienkultur entwickelt haben", so Brasel. "Unsere Annahmen, wie Menschen Medien nutzen, müssen aktualisiert werden. Die Ära der Mono-Medienumgebung ist vorbei." Das neue Medienzeitalter habe weit reichende Auswirkungen auf Eltern wie auch auf die Arbeitswelt und das Produktmarketing. Zum einen stehen Effizienz und Produktivität in Frage, schließlich nutzen zunehmend mehr Arbeitnehmer Computer und Fernsehen gleichzeitig und das Medien-Multitasking ist bei Jugendlichen unter 18 der vorherrschende Modus. Die Beschäftigung mit Mobiltelefonen, so die Forscher, sei in diese Studie zudem noch gar nicht eingeflossen. Zum anderen müssten Marketingexperten das Verstehen ihrer Botschaften überprüfen, wenn die Aufmerksamkeit der Konsumenten permanent schwankt.

(c) Wissenschaft aktuell
Quelle: "Media Multitasking Behavior: Concurrent Television and Computer Usage", S. Adam Brasel, James Gips; Cyberpsychology, Behavior, and Social Networking, im Druck
doi:10.1089/cyber.2010.0350


 

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