Multiple Sklerose: Neuer Therapieansatz regeneriert Nervenschäden

Bereits zugelassenes Medikament fördert im Tierversuch die Produktion von Hirnzellen, die geschädigte Myelinhüllen von Nervenfasern ausbessern
Oligodendrozyten (rot) bilden die isolierende Myelinhülle um die langen Nervenfortsätze (grün).
Oligodendrozyten (rot) bilden die isolierende Myelinhülle um die langen Nervenfortsätze (grün).
© Luke Lairson, The Scripps Research Institute
La Jolla (USA) - Bei der Multiplen Sklerose greift das Immunsystem Nervenzellen in Gehirn und Rückenmark an. Das führt zum Verlust der isolierenden Hülle der Nervenfasern – der sogenannten Myelinscheide – und beeinträchtigt die Signalübertragung. Derzeit verfügbare Therapien unterdrücken Immunreaktionen, um das Fortschreiten der Krankheit zu bremsen. Jetzt haben amerikanische Forscher einen Wirkstoff gefunden, der eine völlig neue Behandlungsstrategie ermöglicht: Das zur Parkinson-Therapie bereits zugelassene Medikament Benzatropin fördert im Tierversuch die Regeneration der Myelinscheide. Das geschieht dadurch, dass sich aus speziellen Vorläuferzellen vermehrt myelinbildende Hirnzellen entwickeln, berichten die Wissenschaftler im Fachjournal „Nature“. Benzatropin linderte typische Krankheitssymptome bei Mäusen. Erste klinische Studien mit Patienten sollen schon bald beginnen.

„Während eines Krankheitsschubs sind zwar Vorläuferzellen vorhanden, aber aus unbekannten Gründen entwickeln sie sich nicht zu reifen funktionsfähigen Oligodendrozyten“, sagt Luke Lairson vom Scripps Research Institute in La Jolla, einer der leitenden Forscher des Teams. Oligodendrozyten zählen zu den Gliazellen des Gehirns und haben die Aufgabe, geschädigte Myelinhüllen auszubessern. Lairson und seine Kollegen setzten sich das Ziel, Wirkstoffe zu finden, die dafür sorgen, dass sich aus vorhandenen Vorläuferzellen mehr Oligodendrozyten entwickeln. In einem aufwendigen, automatisierten Screening testeten sie dazu den Einfluss von 100.000 chemischen Verbindungen auf Kulturen von Vorläuferzellen, die aus Ratten gewonnen worden waren.

Neben einigen anderen, noch nicht näher untersuchten Substanzen erwies sich die Zugabe von Benzatropin in das Nährmedium als besonders effektiv: Es entstanden Zellen, die Myelin-Protein produzierten und in Gegenwart von Nervenzellen Myelinscheiden bildeten. Schließlich testeten die Forscher den Wirkstoff an Mäusen, bei denen eine der Multiplen Sklerose ähnliche Krankheit ausgelöst worden war. Die Behandlung mit Benzatropin allein hatte eine ähnliche Wirkung wie der Einsatz von Beta-Interferon oder Fingolimod, die das Immunsystem unterdrücken. Aber eine kombinierte Behandlung verstärkte den Effekt erheblich: Es wurde weniger Myelin zerstört und gleichzeitig die Neubildung gefördert. Bei Mäusen führte die Therapie zu einer deutlichen Linderung von Krankheitssymptomen.

Zum jetzigen Zeitpunkt sollte Benzatropin noch nicht zur Behandlung von Multipler Sklerose eingesetzt werden, da es starke Nebenwirkungen hat und die optimale Dosis erst noch ermittelt werden muss, sagt Lairson. Auf welche Weise Benzatropin die Reifung der Vorläuferzellen zu Oligodendrozyten beschleunigt, ist noch nicht genau bekannt. Möglicherweise lassen sich durch eine Veränderung der chemischen Struktur die gewünschten Wirkungen weiter verstärken und die Nebenwirkungen verringern. Außerdem wollen die Forscher noch andere Substanzen testen, die sich in ihrem Screening als wirksam erwiesen haben.

Multiple Sklerose ist eine unheilbare chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems mit unbekannter Ursache. Weltweit leiden mehr als zwei Millionen Menschen daran. In Deutschland sind etwa 122.000 Menschen betroffen, davon doppelt so viele Frauen wie Männer. Man unterscheidet verschiedene Verlaufsformen, mit zahlreichen neurologischen Symptomen, darunter Seh- und Sensibilitätsstörungen, Taubheitsgefühle, Lähmungen und psychische Störungen.

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