Mikromechanische Gänsehaut
„Ganz gleich ob pH-Wert, Temperatur, Feuchtigkeit oder Druck – die Module können so konstruiert werden, dass sie eine externe Stimulation direkt erkennen und dann modulieren“, sagt Joanna Aizenberg, die die Arbeitsgruppe an der Harvard University leitet. Ihr erstes Modell für ein autarkes Schaltmaterial besteht aus zwei funktionellen Schichten. Für die untere wählten die Forscher ein Temperatur empfindliches Hydrogel, in das sie ein Areal aus Mikrometer kleinen Lamellen aus einem Kunstharz einlagerten. Unterhalb einer bestimmten Temperatur quoll das Hydrogel auf und die Lamellen wurden aufgerichtet. Die Lamellenspitzen reichten dadurch in die zweite, darüber liegende Schicht aus flüssigen Reagenzien hinein. Weil die Spitzen mit einem Katalysator bestückt worden waren, startete in der Flüssigkeit eine exotherme Reaktion. Die dabei freigesetzt Wärme heizte das gesamte Modul auf und verusachte ab einer bestimmten Temperaturschwelle ein Schrumpfen des Hydrogels. Zugleich senkten sich die Lamellen wieder ab und zogen ihre Katalysatorspitzen aus der Flüssigkeit wieder heraus, so dass die Wärme erzeugen Reaktion stoppte. „Dieser Vorgang ist vergleichbar mit einer Gänsehaut, die sich bei Kälte auf der Haut bilden kann“, sagt Aizenberg.
Nach dem gleichen Wirkprinzip können nun Module konstruiert werden, die nicht auf die Temperatur, sondern auch auf Druck, Luftfeuchtigkeit, Lichteinfall oder den Säuregrad der Umgebung reagieren. Mit ausgewählten Reagenzien in der oberen Schicht und Katalysatoren auf den Lamellenspitzen kann dann jeweils die gewünschte Reaktion eingeleitet werden, die der ursprünglichen Stimulierung entgegenwirkt. Diese Art der Selbstregulation benötigt keine externe Energieversorgung.
Obwohl sich diese Werkstoffe noch in einem sehr frühen Entwicklungsstadium befinden, können sich die Wissenschaftler zahlreichn Anwendungsgebiete vorstellen. So ließen sich die Reaktionsbedingungen etwa in Chemiereaktoren leichter kontrollieren und regeln. Auch Geräte, die völlig selbstständig den Blutzuckerspiegel von Diabetes-Patienten oder das Raumklima in Bürogebäuden einstellen, seien vorstellbar.