Mein Nachbar der Vampir

Skelette von polnischem Friedhof zeigen: Menschen, die mit Vorsichtsmaßnahmen gegen Wiedergänger bestattet wurden, waren nicht etwa Fremde, sondern stammten aus der Gegend
Eine Sichel über der Kehle sollte diese Frau davon abhalten, ihrem Grab zu entsteigen.
Eine Sichel über der Kehle sollte diese Frau davon abhalten, ihrem Grab zu entsteigen.
© Amy Scott
Mobile (USA) - In längst vergangenen Jahrhunderten war der Glaube an Untote, Vampire und andere Wiedergänger weit verbreitet. Verdächtige Verstorbene wurden mit ganz speziellen Sicherheitsmaßnahmen zur Abwehr des Bösen unter die Erde gebracht. So sollte etwa ein Stein oder eine Sichel, auf beziehungsweise über der Kehle platziert, die potenziellen Wiedergänger davon abhalten, ihrem Grab zu entsteigen und über die Lebenden herzufallen. Jetzt legen Analysen menschlicher Überreste aus dem Polen des 17. und 18. Jahrhunderts nahe: Es waren wohl eher die Nachbarn von nebenan als Fremde, die einst auf solche Weise als Vampir begraben wurden. Als möglichen Beweggrund für diese Bestattungsriten mit Schutzmaßnahmen gegen böse Kräfte nennen die Anthropologen aus den USA und Kanada tödliche ansteckende Krankheiten wie beispielsweise die Cholera, die im 17. Jahrhundert in Europa grassierte. Denn die erste Person, die der Seuche zum Opfer fiel, erläutern sie im Fachblatt „PLoS ONE”, geriet schnell in den Verdacht, als Vampir von den Toten zurückzukehren.

„Die Menschen, die in der Zeit nach dem Mittelalter lebten, verstanden nicht, wie sich solche Krankheiten ausbreiteten“, erläutert Lesley Gregoricka von der University of South Alabama. Daher sei eher das Übernatürliche – in dem Fall Vampire – als Erklärung für die mit solchen Epidemien einhergehenden gehäuften Todesfälle herangezogen worden als eine wissenschaftliche Begründung. Gregoricka und ihre Kollegen wollten der Frage auf den Grund gehen, ob in Vampirgräbern eher Einheimische oder eher Fremde bestattet wurden. Dazu nutzten sie 60 Skelette, die im 17. und 18. Jahrhundert auf einem Friedhof im Nordwesten Polens beerdigt worden waren. Sechs der Gräber zeigten eindeutig ungewöhnliche Merkmale; die Toten waren beispielsweise mit einem Stein oder einer Sichel auf der Kehle begraben worden.

Die Forscher untersuchten mit Hilfe spezieller Isotopenanalysen den Zahnschmelz der Backenzähne. Als Vergleich zogen sie entsprechende Werte einiger Tiere aus der Region heran, von Mäusen, Hasen und einem Fuchs. Anhand des Vorkommens bestimmter Strontium-Isotope lässt sich nachvollziehen, in welcher Gegend ein Mensch – oder eben auch ein Tier – vornehmlich gelebt hat. Die Ergebnisse zeigten: Die Individuen in Gräbern mit Vorsichtsmaßnahmen gegen Vampire stammten aller Wahrscheinlichkeit nach aus der Region. Es waren also nicht etwa Fremde gewesen, die schlicht Misstrauen erregt haben mochten, weil niemand sie kannte. Vielmehr mussten wohl Einheimische auf irgendeine Weise in Verdacht geraten sein, als Wiedergänger zurückzukehren und die Lebenden heimzusuchen. Ein plausibler Grund wäre nach Ansicht der Forscher, dass diese Verstorbenen das erste Opfer einer ansteckenden Krankheit wie der Cholera waren. Anhand der Überreste lässt sich allerdings nicht mehr ermitteln, ob die Personen tatsächlich an der Cholera gestorben sind, weil die Krankheit keine Spuren am Skelett hinterlässt.

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