Karies – schon bei Jägern und Sammlern

Bereits einige tausend Jahre früher als bisher gedacht, noch vor Beginn des Ackerbaus, konnte sich die Karies bei kohlenhydratreicher Kost in einer Population stark ausbreiten
Ein 14.000 bis 15.000 Jahre alter Oberkiefer aus der “Grotte des Pigeons” bei Taforalt in Marokko zeigt einen ungewöhnlich starken Kariesbefall der Zähne.
Ein 14.000 bis 15.000 Jahre alter Oberkiefer aus der “Grotte des Pigeons” bei Taforalt in Marokko zeigt einen ungewöhnlich starken Kariesbefall der Zähne.
© Isabelle De Groote
London (Großbritannien) - Mit dem Ackerbau kam die Karies. Vor etwa 12.000 Jahren führte die veränderte Ernährung durch kohlenhydratreiche Kost zur dauerhaften Existenz von Kariesbakterien im Mund der Menschen. Die Erreger verwerten Kohlenhydrate und setzen dabei Säure frei, die die Zähne angreift. Doch jetzt konnten britische Archäologen nachweisen, dass bereits Menschen einer Jäger- und Sammlerkultur unter bestimmten Umständen massiv von Karies betroffen sein können. Die Forscher analysierten 14.000 bis 15.000 Jahre alte Zähne von Menschen, die sich zum großen Teil von Eicheln und anderen Samen und Früchten wild wachsender Pflanzen ernährten. Der Anteil kariöser Zähne war bei ihnen ähnlich hoch wie bei Bewohnern heutiger Industriestaaten, berichten die Wissenschaftler im Fachjournal „Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS)“.

„Unsere Ergebnisse stehen im Widerspruch zur verbreiteten Ansicht, dass hohe Raten von Karieserkrankungen kennzeichnend für Ackerbaukulturen sind“, schreiben Louise Humphrey vom Natural History Museum in London und ihre Kollegen. Sie untersuchten Funde aus einer marokkanischen Höhle, der Grotte des Pigeons bei Taforalt, die steinzeitlichen Jägern und Sammlern als Wohn- und Begräbnisstätte diente. Die Analyse der Kiefer von 52 Erwachsenen lieferte nicht nur Hinweise auf eine sehr starke Abnutzung der Zähne. 51 Prozent der Zähne zeigten typische Zeichen von Karies. Nur drei Personen waren ganz kariesfrei. Eine derart schlechte Zahngesundheit war bisher nur von sesshaft gewordenen Menschengruppen bekannt, die bereits Ackerbau betrieben. Bei diesen sind 2 bis 48 Prozent der Zähne an Karies erkrankt, bei Jägern und Sammlern wurden bisher Werte zwischen 0 und 14 Prozent ermittelt.

Zahlreiche Überreste von pflanzlichem Material aus der Höhle gaben Aufschluss über die Ernährung der Bewohner. Demnach bestand ihre Nahrung hauptsächlich aus Eicheln der Stein-Eiche (Quercus ilex) und Pinienkernen der Seekiefer (Pinus pinaster). Daneben fanden sich Spuren von wild wachsenden Hülsenfrüchten, wildem Hafer und Pistazien. Alle diese Nahrungsmittel sind reich an Kohlenhydraten. Aus der Reifezeit der Früchte schließen die Archäologen, dass die Höhle zumindest vom späten Frühjahr bis zum Herbst bewohnt wurde. Da aber Eicheln und Pinienkerne auch als Vorrat gelagert werden können, wäre auch ein länger dauernder Aufenthalt über den Winter hinaus denkbar. Das systematische Sammeln und Lagern wild wachsender pflanzlicher Nahrung könnte also in diesem Fall die Menschen noch vor Beginn des Ackerbaus für längere Zeit sesshaft gemacht haben.

Aus anderen Untersuchungen ist bekannt, dass die Menschen die essbaren Eicheln in unreifem Zustand gesammelt und nach Trocknung gelagert haben. Zum Verzehr wurden sie entweder zermahlen oder als Ganzes gekocht. Vor allem der Konsum der Eicheln dürfte zur Ausbreitung der Karies beigetragen haben, vermuten die Forscher. Die Früchte enthalten nicht nur Stärke sondern auch Zucker, dessen Gehalt während der Lagerung noch zunimmt. Eine daraus zubereitete gekochte Speise wäre zum einen gut verdaulich. Zum anderen blieben aber klebrige Reste leicht an den Zähnen hängen, so dass sich Milchsäurebakterien wie der Karieserreger Streptococcus mutans stark vermehren und den Mund dauerhaft besiedelt haben könnten. Wahrscheinlich haben sich dann im Lauf der Zeit aggressivere Erreger entwickelt, die bei engem Kontakt der Höhlenbewohner leicht übertragbar waren und eine schnelle Ausbreitung ermöglichten.

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