In flagranti: Schildkröten im Paarungsakt versteinert

Vermutlich sanken die Reptilien beim Geschlechtsverkehr in tiefere, giftige Wasserschichten und starben dort
Fossile Schildkröten im Paarungsakt
Fossile Schildkröten im Paarungsakt
© Senckenberg Naturmuseum Frankfurt
Tübingen/Darmstadt - In seltenen Glücksfällen bilden uralte Fossilien das einstige Leben erfreulich plastisch ab: Während des Paarungsakts sind einige Schildkrötenpärchen vor Jahrmillionen verstorben und in entsprechender Stellung der Nachwelt erhalten geblieben. Das konnten Paläontologen aus Deutschland und der Schweiz bei Funden aus der Grube Messel belegen. Bisher hatte es keine stichhaltigen anatomischen Beweise für die Geschlechter der Individuen gegeben – und damit nie Sicherheit darüber, ob es sich tatsächlich um Männchen und Weibchen im Paarungsakt handelte. Der ungewöhnliche Fund ist der erste fossile Beleg kopulierender Wirbeltiere. Die Ergebnisse geben zudem Hinweise auf die einstige Gewässerbeschaffenheit der heutigen Grube Messel, mit einer bewohnbaren Oberfläche und tödlich giftigen Tiefen, berichten die Forscher im Fachblatt „Biology Letters“.

„Es ist unwahrscheinlich, dass die Schildkröten sich in giftigem Oberflächenwasser paaren würden“, schreiben Walter G. Joyce von der Universität Tübingen und Kollegen. Vielmehr nehmen die Forscher an: Die Schildkröten begannen mit der Kopulation im bewohnbaren Oberflächenwasser und verendeten, als ihre Haut Gifte aufnahm, als sie während der Umarmung in tiefere Bereiche des Sees absanken. Die tieferen Schichten des Gewässers könnten etwa aufgrund vulkanischer Gase oder verrottenden, organischen Materials toxisch und damit tödlich für die Reptilien gewesen sein. Vorwiegend im Wasser lebende Schildkröten paaren sich auch im Wasser. Das meist kleinere Männchen besteigt das Weibchen dabei von hinten. In dieser Position verharren sie oft eine Weile, bevor sie sich wieder trennen. Passiert dies in offenem, tieferem Wasser, ist es wahrscheinlich, dass das Paar in seiner Umarmung beträchtlich absinkt.

In der zwischen Darmstadt und Frankfurt gelegenen Fossillagerstätte Grube Messel finden sich außerordentlich gut erhaltene Exemplare der ausgestorbenen Schildkrötenart Allaeochelys crassesculpta. Sie stammen aus dem Eozän und werden auf ein Alter von etwa 47 Millionen Jahren geschätzt. Da diese häufig zu zweit gefunden wurden, lag der Verdacht nahe, dass sie während der Paarung gestorben waren und daraufhin versteinerten. Eindeutige Belege dafür fehlten aber bislang. Joyce und seine Kollegen zeigten nun erstmals, dass alle Paare aus einem größeren Weibchen und einem kleineren Männchen bestehen. Sieben der neun untersuchten Paare sind in unmittelbarem Kontakt miteinander. Bei zweien ist zudem zu erkennen, dass der Schwanz des Männchens sich unter den Panzer des Weibchens windet und dort dessen Schwanz berührt.

Nur selten lassen fossile Überreste Verhalten und Lebensweise so unmittelbar erkennen. In den wenigsten Fällen verstirbt ein Tier bei völlig alltäglichen Tätigkeiten. Einige wenige Funde vermitteln aber dennoch bemerkenswert lebhafte Eindrücke – etwa Dinosaurier, die im Kampf oder in ihrem Nest beim Bebrüten ihrer Eier gestorben und erhalten geblieben sind.

© Wissenschaft aktuell
Quelle: „Caught in the act: the first record of copulating fossil vertebrates”, Walter G. Joyce et al.; Biology Letters, DOI:10.1098/rsbl.2012.0361


 

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