Im Auge des Habichts

Hat der Greifvogel die Beute erst einmal im Blick, bleibt ihr als einzige erfolgversprechende Strategie ein scharfer Ausfall zur Seite, der den Blickkontakt unterbricht
Shinta mit ihrer Helmkamera
Shinta mit ihrer Helmkamera
© Robert Musters
Haverford (USA) - Hat ein Habicht eine Beute einmal ins Auge gefasst, hat sie kaum noch eine Chance zu entwischen. Ein Ausweichmanöver ist allerdings häufig die Rettung: Scharf zur Seite auszuscheren und so weg von dem wendigen und agilen Greifvogel zu kommen, scheint die einzige effektive Strategie zum Entkommen zu sein. Dadurch wird der auf die Beute fixierte Blick unterbrochen, wodurch diese die Möglichkeit zur erfolgreichen Flucht erhält, berichtet ein Team internationaler Forscher im „Journal of Experimental Biology“. Mit Hilfe einer kleinen Videokamera hatten die Biophysiker die Jagdausflüge einer Habichtdame verfolgt. So gelang es ihnen, nicht nur die Jagdstrategie des Habichts detailliert zu ergründen, sondern auch herauszufinden, wie ein Kaninchen oder ein Fasan entkommen konnte.

„In unseren Videos sieht man, dass einzig die Bewegung zur Seite effektiv den fixierenden Blick brechen konnte“, erläutert Suzanne Amador Kane vom Haverford College, Erstautorin der Studie. In Zusammenarbeit mit einem niederländischen Falkner hatten Kane und Kollegen die Habichtdame Shinta mit einer kleinen Helmkamera ausgestattet und insgesamt 29 Videosequenzen detailliert analysiert, darunter 16 Verfolgungsjagden. So fanden sie heraus, was genau sich jeweils im Blickfeld von Shinta befand, wie ihre Flugbahn verlief, welche Manöver und Strategien sie an den Tag legte – und welche Manöver die Beute ihrem Jäger entgegensetzte. Zehnmal hatte Shinta Fasane gejagt, sechsmal Kaninchen.

Hatte Shinta ihre Beute entdeckt, hielt sie diese zunächst im Zentrum ihres Blickes und stürzte schnurstracks auf sie zu. So konnte sie schnell zuschlagen und hatte die Überraschung auf ihrer Seite. Bemerkte das Opfer dann dennoch, dass es verfolgt wurde, und flüchtete, wechselte die Habichtdame die Strategie und ging zu einer speziellen Verfolgungstaktik über. Dabei näherte sie sich ihrer Beute kontinuierlich an, während sie diese in einem konstanten Winkel im Blick behielt. Auf diese Weise, erklärt Kane, geht der Greifvogel in kürzester Zeit auf Abfangkurs, verschleiert vor dem Opfer aber gleichzeitig seine Annäherung. In der letzten Phase der Jagd, wenn sie nah genug zum Zuschlagen war, setzte der Habicht schließlich nochmals eine andere Taktik ein. Dann flog er neben seiner Beute her und konnte so in aller Ruhe entscheiden, wann ein guter Zeitpunkt für die finale Attacke war. Ihre Beobachtungen glichen die Forscher außerdem mit Computersimulationen und Videoaufnahmen vom Boden aus ab. Die Ergebnisse, schreiben Kane und Kollegen, müssen aber nicht zwingend unter allen Umständen gelten. Zwar sei das Jagdverhalten bei Greifvögeln angeboren, dennoch würden Jungvögel ihre Fähigkeiten auch entwickeln, beispielsweise im Spiel miteinander.

„Was wir auch untersuchen wollten war, wie die Beute versucht, dem Angriff zu entgehen“, erzählt Kane. Sie stellten fest: Diejenigen Kaninchen und Fasane, die erfolgreich entkommen waren, waren alle scharf von Shinta weg abgebogen. Weder Fasane noch Kaninchen hätten laut Kane eine Chance, einem Habicht einfach durch Wegrennen oder ein bisschen Hakenschlagen zu entfliehen. Mit dem scharfen seitlichen Ausscheren versuchen sie womöglich, die Wahrnehmung des Greifvogels auszuhebeln, der stark auf den Sichtkontakt angewiesen ist. Diese plötzliche Richtungsänderung stört die Vorgehensweise des Habichts, der sich normalerweise von seiner Sicht leiten lässt, und macht ein Entkommen möglich.

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