Gemeinsames Singen bricht das Eis schneller

Durch Chorgesang kommen sich fremde Menschen in kürzerer Zeit näher als durch andere Gruppenaktivitäten
Gemeinsames Singen hebt nicht nur die Stimmung, sondern fördert auch soziale Bindungen und kooperatives Verhalten.
Gemeinsames Singen hebt nicht nur die Stimmung, sondern fördert auch soziale Bindungen und kooperatives Verhalten.
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Oxford (Großbritannien) - Gemeinsame Tätigkeiten im Gruppenverband erzeugen soziale Bindungen und ein angenehmes Gefühl der Zusammengehörigkeit. Dieser positive Effekt kommt durch Singen schneller zustande als durch andere Aktivitäten, berichten britische Psychologen. In Gesangsgruppen, die sich einmal wöchentlich trafen, entstand schon im ersten Monat ein starkes Gemeinschaftsgefühl. Dagegen war in Gruppen, die sich mit kreativem Schreiben oder künstlerischem Gestalten beschäftigten, eine vergleichbare Wirkung erst nach mehreren Monaten messbar. Möglicherweise hat sich das gemeinsame Singen im Verlauf der menschlichen Evolution entwickelt, weil es besonders schnell für den Zusammenhalt in größeren Gruppen sorgt, schreiben die Forscher im Fachblatt „Royal Society Open Science”.

„Durch Singen lassen sich soziale Bindungen innerhalb einer Gruppe herstellen, wenn die Zeit nicht ausreicht, um erst nach und nach persönliche Beziehungen mit jedem Einzelnen aufzubauen“, sagt Eiluned Pearce von der University of Oxford. Ihr Forscherteam wollte herausfinden, ob andere Gruppenaktivitäten sich auf dieselbe Weise auswirken wie das Singen. Dazu befragten die Psychologen über einen längeren Zeitraum etwa hundert Teilnehmer von sieben Kursen einer Einrichtung für Erwachsenenbildung. Die überwiegend weiblichen Probanden waren zwischen 18 und 83 Jahre alt. Das Durchschnittsalter in den einzelnen Gruppen lag bei 52 bis 60 Jahren. Unter der Leitung professioneller Tutoren wurde in vier Kursen gesungen, in zweien künstlerisch gestaltet und in einem ging es um kreatives Schreiben. Alle Gruppen kamen wöchentlich einmal für zwei Stunden zusammen. Im ersten und dritten Monat sowie am Ende des siebten Monats gaben die Teilnehmer jeweils vor und nach einem Treffen Auskunft darüber, wie eng sie sich mit der Gruppe verbunden fühlten.

Bei Abschluss der Studie bewerteten die Testpersonen aller Kurse das Ausmaß des empfundenen Gemeinschaftsgefühls in ähnlicher Weise. Aber bei der Befragung im ersten Monat ergaben sich deutliche Unterschiede zwischen Sängern und Nicht-Sängern: Zu diesem frühen Zeitpunkt empfanden die Sänger ein viel stärkeres Gefühl der Verbundenheit als die Teilnehmer der anderen Kurse. Das gemeinsame Singen führte also schneller zu einer starken Gruppenbindung, die in gleicher Stärke von den anderen erst einige Monate später erreicht wurde. „Längerfristig scheint jede Gruppenaktivität die Menschen in ähnlichem Maß einander näher zu bringen“, sagt Pearce. Bei den Nicht-Sängern hatten sich die Beziehungen erst allmählich, hauptsächlich durch Gespräche während des Kurses oder in den Pausen entwickelt. In den Gesangsgruppen war ein Gefühl der Zusammengehörigkeit viel früher entstanden, ohne dass ein zeitaufwändiges persönliches Kennenlernen durch Einzelgespräche nötig war.

Im Gegensatz zu den Sängern verfolgten die Teilnehmer beim künstlerischen Gestalten und kreativen Schreiben allerdings eigene, individuelle Projekte, anstatt auf ein gemeinsames Ziel hin zu arbeiten. Deshalb sollten weitere Studien prüfen, ob die Aktivitäten in Sport-, Tanz- oder Theatergruppen ähnliche Effekte erzielen wie das Singen. Für die frühen Menschen könnten gemeinsame Gesänge – aber auch Tänze – ein wichtiges Ritual gewesen sein, um den Zusammenhalt einer Gruppe zu stärken und damit die Erfolgsaussichten gemeinsamer Aktionen wie zum Beispiel einer Jagd zu erhöhen. Ob es aber im heutigen Berufsleben dem Betriebsklima nützen würde, wenn zu Beginn eines Arbeitstages die ganze Belegschaft gemeinsam singt, erscheint doch eher fraglich.

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