Gehirn sortiert nach "belebt" und "unbelebt"

Das menschliche Gehirn hat die angeborene Eigenschaft, alles auf der Welt danach zu unterscheiden, ob es belebt oder unbelebt ist. Der Grund dafür liegt im Dunkeln
Rochester (USA) - Das menschliche Gehirn behandelt die Bilder oder Vorstellungen von Belebtem und Unbelebtem ganz unterschiedlich. Bis vor Kurzem dachte man, dies diene der besseren Verarbeitung des in der Umgebung Gesehenen. Doch jetzt hat ein amerikanisches Wissenschaftlerteam herausgefunden, dass für diese Unterscheidung keinerlei Seh-Erfahrung nötig ist. Auch das Gehirn geburtsblinder Menschen zeigt diese Unterscheidung, wie die Forscher in der Fachzeitschrift "Neuron" darlegen. Daher muss diese Eigenschaft angeboren sein.

"Wenn sehende und von Geburt an blinde Menschen die gleichen Vorstellungen in den gleichen Gehirnregionen verarbeiten, dann folgt daraus, dass visuelle Erfahrung nicht nötig ist, um diese Aspekte der Gehirnorganisation zu entwickeln", erklärt Bradford Mahon von der University of Rochester. "Wir schließen daraus, dass wichtige Teile des Gehirns von Geburt an um ein paar Wissensbereiche strukturiert sind, die in der menschlichen Evolutionsgeschichte von entscheidender Bedeutung waren."

Schon frühere Studien hatten gezeigt, dass das Gehirn einen Tisch oder einen Berg in einer anderen Gehirnregion verarbeitet als ein Tier oder ein Gesicht. Zunächst nahm man an, dies geschehe, weil belebte Dinge oft runde Konturen haben und unbelebte eher kantig sind. Warum dem Gehirn so eine Unterscheidung wichtig sein sollte, blieb aber weiterhin ein Rätsel.

Mahon und seine Kollegen baten in einem Experiment sehende und geburtsblinde Probanden, von bestimmten Dingen und Wesen Vorstellungen zu entwickeln. Dabei wurde die Gehirnaktivität der Versuchsteilnehmer mit Hilfe der Magnetresonanz-Tomografie (MRI) beobachtet. "Als wir uns die MRI-Scans ansahen, wurde deutlich, dass Blinde und Sehende die Objekte in der gleichen Weise mit den gleichen Unterscheidungen verarbeiteten", sagt Mahon. "Diese Ergebnisse untermauern sehr stark die Vermutung, dass die menschliche Gehirnorganisation von Geburt an verschiedene Arten von Verarbeitung für verschiedene Objekte vornimmt." Warum das Gehirn ausgerechnet zwischen Belebtheit und Unbelebtheit unterscheidet, ist immer noch unklar. Aber Mahon und seine Kollegen haben eine Vermutung: Möglicherweise muss alles Belebte gesondert verarbeitet werden, da es wichtig ist, Gefühlsausdrücke (auch akustische) bei Mensch und Tier richtig deuten zu können - etwa, um gegebenenfalls rechtzeitig die Flucht ergreifen zu können. Die besondere Verarbeitung von unbelebten Dingen könnte hingegen wichtig sein für das Bewusstseins des Raumes und der unbelebten Körper, die als Hindernisse auftreten könnten.

© Wissenschaft aktuell
Quelle: "Category-Specific Organization in the Human Brain Does Not Require Visual Experience", Bradford Z. Mahon, Stefano Anzellotti, Jens Schwarzbach, Massimiliano Zampini, Alfonso Caramazza; Neuron, Vol 63, issue 3, 13.08.2009;
DOI: 10.1016/j.neuron.2009.07.012


 

Home | Über uns | Kontakt | AGB | Impressum | Datenschutzerklärung
© Wissenschaft aktuell & Scientec Internet Applications + Media GmbH, Hamburg