Gähnen stimuliert das Hirn

Je größer und komplexer das Gehirn, desto länger gähnt ein Säugetier – wahrscheinlich um dadurch die Durchblutung des Denkorgans zu verbessern
Die Gähndauer des Löwen liegt zwischen der von Kapuzineraffe und Pferd.
Die Gähndauer des Löwen liegt zwischen der von Kapuzineraffe und Pferd.
© Shutterstock, Bild 33505087
Oneonta (USA) - Gähnen ist ein Verhalten, das sich bei zahlreichen Wirbeltieren entwickelt und im Lauf der Evolution bis hin zum Menschen erhalten hat. Es muss also eine wichtige Funktion erfüllen, die aber noch immer nicht eindeutig geklärt ist. Jetzt haben amerikanische Psychologen einen aufschlussreichen Zusammenhang entdeckt: Demnach sind bei verschiedenen Säugetieren die Neuronenzahl in der Großhirnrinde und das Hirngewicht umso größer, je länger das Gähnen bei einer Tierart durchschnittlich dauert. Das unterstützt die Vermutung, dass das Gähnen kognitive Hirnfunktionen fördern könnte, indem es die Durchblutung und Kühlung des Denkorgans verstärkt, schreiben die Forscher im Fachblatt „Biology Letters“. Ob besonders intelligente Menschen auch besonders lange gähnen, wurde noch nicht untersucht.

„Unsere Ergebnisse zeigen, wie wichtig es ist, den Zusammenhang zwischen Gähndauer und kognitiven Prozessen im Gehirn zu erforschen“, erklären die Wissenschaftler um Andrew Gallup von der State University of New York in Oneonta. Das Gähnen sei zudem keinesfalls ein immer gleich ablaufendes Verhalten. So würden Affen dabei je nach Situation den Mund unterschiedlich weit öffnen und mal länger, mal kürzer gähnen. Beim Menschen gebe es Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Merkmalen des Gähnens und neurologischen Erkrankungen.

Die Forscher werteten frei zugängliche Video-Clips aus dem Internet aus, in denen gähnende Säugetiere zu sehen waren. Zu jeder der 24 Tierarten nutzten sie bereits veröffentlichte Angaben über die Zahl der Neuronen in der Großhirnrinde sowie das durchschnittliche Hirngewicht. Zur besseren Vergleichbarkeit der verschiedenen Spezies diente der sogenannte Enzephalisationsquotient (EQ) als Maß für die Größe des Gehirns, relativ zum jeweiligen Körpergewicht. Insgesamt ermittelten die Wissenschaftler die Gähnzeiten von 177 Individuen. Dabei ergaben sich Werte von etwa einer Sekunde bei Maus und Ratte bis zum Maximalwert von etwas mehr als sechs Sekunden beim Menschen; im Mittelfeld lagen Katze, Hund, Igel und Pferd.

Mit zunehmender Hirngröße als auch mit steigender Neuronenzahl einer Spezies verlängerte sich die Dauer des Gähnens – und auch die Schwankungsbreite dieser Zeitdauer. Alle Primaten zusammengenommen gähnten im Schnitt 4,5 Sekunden lang. Für alle anderen Säugetiere lag der Mittelwert unter drei Sekunden. Erstaunlicherweise gähnte ein Afrikanischer Elefant fast genauso lange wie Menschen und deutlich länger als Schimpansen und Gorillas. Die unterschiedlichen Körpergrößen oder anatomischen Merkmale von Schädel und Kiefer können diese Ergebnisse nicht erklären, schreiben die Autoren. Mit Bezug auf andere Forschungsarbeiten vermuten sie, dass sich das Gähnen auf die Blutversorgung des Gehirns auswirkt, zur Kühlung beiträgt und dadurch die Aktivität der Großhirnrinde stimuliert. Für Tiere mit größeren und komplexeren Gehirnen sei daher ein länger andauerndes Gähnen erforderlich.

Die neuen Erkenntnisse sprächen jedenfalls gegen die Annahme, das Gähnen diene lediglich als Signal zur Kommunikation, beispielsweise zur Synchronisation des Schlaf-Wach-Rhythmus innerhalb einer Gruppe. Die Forscher regen dazu an, noch unerforschte Aspekte des Gähnens zu untersuchen. Dazu zählen sie Zusammenhänge mit einem EEG und anderen messbaren Hirnaktivitäten, Veränderungen im Lauf des Lebens und im Tagesverlauf sowie mögliche Unterschiede zwischen spontanem und ansteckendem Gähnen.

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