Für ein gesundes Immunsystem: Jedem seine Darmkeime

So wie Mäuse sind wahrscheinlich auch Menschen auf eine für ihre Spezies typische Mischung von Darmkeimen angewiesen, damit sich die Immunabwehr normal entwickeln kann
Escherichia coli (rasterelektronenmikroskopische Aufnahme) ist die bekannteste von mehreren hundert Arten von Darmbakterien.
Escherichia coli (rasterelektronenmikroskopische Aufnahme) ist die bekannteste von mehreren hundert Arten von Darmbakterien.
© Rocky Mountain Laboratories, NIAID, NIH
Boston (USA) - Darmkeime gesunder Menschen machen Mäuse krank. Wird der Darm neugeborener Tiere von den „menschlichen“ Bakterien besiedelt, kann sich das Immunsystem nicht normal entwickeln, berichten amerikanische Forscher. Demnach ist die komplexe Mischung zahlreicher Arten von Darmbakterien bei gesunden Mäusen, Ratten und Menschen unterschiedlich und nicht austauschbar. Offenbar hat sich jede Tierart und auch der Mensch im Verlauf der Evolution zusammen mit arttypischen Darmmikroben entwickelt. Wird dieses natürliche Keimspektrum verändert – sei es durch die Ernährung, Antibiotika oder übertriebene Hygiene – könnte sich die Anfälligkeit für Infektionen, Allergien und Autoimmunkrankheiten erhöhen, schreiben die Wissenschaftler im Fachblatt „Cell“.

„Was die Zellzahl angeht, besteht jeder Mensch zu 90 Prozent aus Mikroben“, sagt Dennis Kasper von der Harvard Medical School in Boston. Die Hauptmasse dieser Mitbewohner des menschlichen Körpers lebt im Darm. Sie unterstützen nicht nur die Verdauung, sondern sind für unsere Gesundheit generell unverzichtbar. So wie sie sich speziell an ihren Wirt angepasst haben, hat sich auch unser Organismus an die Mikroben angepasst. Insbesondere hängt die normale Entwicklung des Immunsystems von der Mitwirkung der Darmkeime ab. Das schließen Kasper und seine Kollegen aus ihren Experimenten mit Mäusen, die in keimfreier Umgebung gehalten wurden. In den bakterienfreien Darm neugeborener Mäuse übertrugen die Forscher ein natürliches Gemisch von Darmmikroben, das entweder von gesunden Mäusen oder von gesunden Menschen stammte.

In beiden Fällen kam es zum Wachstum von Bakterien in ähnlich hoher Zahl und mit einem ähnlich breiten Artenspektrum. Beide Bakterienpopulationen waren aber aus sehr unterschiedlichen Keimspezies zusammengesetzt, wie DNA-Analysen zeigten. Die Untersuchung von Darmlymphknoten ergab, dass sich bei den Mäusen mit den „menschlichen“ Darmkeimen genauso wenige Immunzellen entwickelt hatten wie bei Mäusen, deren Darm völlig keimfrei blieb. „Es schien so, als ob diese Mäuse die Bakterien gar nicht erkennen würden“, sagt Hachung Chung, ein Mitglied des Forscherteams. Auch die Darmkeime von Ratten waren – trotz der engen Verwandtschaft zu Mäusen – nicht in der Lage, das Immunsystem der Mäuse zu einer normalen Entwicklung anzuregen. Davon betroffen waren sowohl T-Lymphozyten als auch Bestandteile der angeborenen Immunabwehr.

Ein weiteres Experiment zeigte, welche Auswirkungen eine derart gestörte Darmflora hat: Nach einer Salmonelleninfektion vermehrten sich die Erreger im Darm der Tiere mit den „menschlichen“ Keimen stärker als im Darm mit arttypischen Mikroben. Diese Ergebnisse weisen auch auf die Gefahren hin, die mit dem übermäßigen Einsatz von Antibiotika und übertriebenen Hygienemaßnahmen verbunden sind, sagt Kasper. Wenn wir dadurch für unsere Gesundheit wichtige Arten von Darmbakterien ganz verlieren, so Kasper, könnte das die steigende Rate von Asthma und Autoimmunkrankheiten wie Multiple Sklerose und entzündliche Darmerkrankungen in den Industrieländern erklären.

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Quelle: „Gut Immune Maturation Depends on Colonization with a Host-Specific Microbiota“, Hachung Chung et al.; Cell, DOI: 10.1016/j.cell.2012.04.037


 

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