Fingerspitzen 2.0

Kombination aus weichen Sensoren und ultradünner, flexibler Elektronik bildet menschliches Tastvermögen in dreidimensional geformter Kunsthaut nach
Die tastempfindlichen Fingerlinge reagieren auf Druck und Verziehen und lassen sich beidseitig aufziehen.
Die tastempfindlichen Fingerlinge reagieren auf Druck und Verziehen und lassen sich beidseitig aufziehen.
© Rogers, University of Illinois
Urbana-Champaign (USA) - Viele hundert Nervenenden machen die menschliche Fingerkuppe zum hochsensiblen Tastinstrument, über welches Mensch und Umwelt Informationen austauschen. Diese Einheit von Feingefühl und Flexibilität war technisch bislang unerreicht. Doch US-Forscher konstruierten nun mithilfe dehnbarer Elektronik eine Art künstliche Fingerkuppe. Diese kann sowohl Druck des Fingers als auch von außen registrieren und nimmt sogar das Dehnen der Haut beim Fingerbiegen wahr. Anders als bisherige Sensoren dieser Art muss die neue „Tasthaut“ nicht flach aufliegen, sondern kann auch gebogene Formen annehmen, berichtet das Team im Fachblatt „Nanotechnology“. Damit ist ein Anwendungsspektrum bei Prothesen und Medizintechnik bis hin zur Robotik denkbar. Die Herstellungskosten sollen dabei dank handelsüblicher Materialien niedrig bleiben.

„Dies ist ein wichtiger Schritt in der Entwicklung biologisch integrierter Elektronik“, sagte John Rogers, Materialforscher an der University of Illinois, gegenüber Wissenschaft aktuell. Das vielleicht wichtigste Ergebnis sei, so Rogers später, „dass wir multifunktionale Siliziumhalbleitertechnologie in die Form weicher, dreidimensionaler, eng anliegender Häute bringen konnten, die sich nicht nur für den Einsatz an Fingerkuppen, sondern auch an anderen Körperteilen eignet.“ Sein Team hatte schon zuvor an tastempfindlicher Kunsthaut gearbeitet. Allerdings funktionierte diese nur, wenn sie auf wenig gebogenen Stellen des Körpers wie etwa dem Unterarm auflag. Nun entwickelte Rogers mit Kollegen der Northwestern University und der chinesischen Dalian University of Technology einen Sensor in Form eines Fingerlings. Wie in der Spitze eines dicken Gummihandschuhs sitzen dehnbare elektronische Schaltkreis samt Tastsensoren direkt über der Fingerkuppe.

Dazu hatten die Forscher Muster aus leitfähigen Goldstreifen auf extrem dünne Siliziumschichten aufgebracht und in eine flexible Polyimidschicht eingebettet. Nach dem Ätzen einer Struktur übertrugen sie diese auf die Silikongummi-Folie in Form eines vorderen Fingergliedes. Die fertige „elektronische Haut“ registriert Drücke und Dehnungen wie die Nervenenden einer Fingerkuppe, nur über die Mikroelektroden der eingebetteten Schaltkreise. Die Kapazität eines solchen Elektrodenpaars, seine Fähigkeit zum Speichern elektrischer Ladung, hängt vom Abstand zwischen beiden Elektroden ab. Verringert sich der Abstand auch nur minimal, weil äußere Kräfte die Haut verformen, so steigt die Kapazität. In ihren Tests nutzten die Forscher diesen Fingerling dann sowohl mit der Elektronikschicht auf der Innenseite, um im Hautkontakt den Druck der Finger nach außen zu registrieren, als auch umgestülpt für Messungen des Drucks von außen.

Ebenso lassen sich in solche Fingerlinge winzige Sensoren für Bewegung oder Temperatur einbetten, schreibt das Team. Da ein Rechner die sich ändernden Werte analysiert und passende Reaktionen steuert, könne man sogar kleinste Hitzequellen in einen neuartigen Medizinerhandschuh oder in Operationsroboter einbauen, um etwa gezielt und mit direkter Rückmeldung einzelne Hautschichten abzutragen. Nun wollen die Forscher eine ähnliche Sensorhaut für den Einsatz an anderen Körperteilen entwickeln: Am Herzen etwa könnte eine solche flexible Hülle eines Tages Rhythmusstörungen erkennen oder notwendige Impulse geben, eventuell sogar gekoppelt an einen drahtlosen Datenfunk und eine eigene Stromversorgung. Zusammenfassend sieht Rogers großes Potenzial in künftigen Einsatzmöglichkeiten in der Chirurgie und Robotik, bei intelligenten Prothesen oder auch unterstützender Sinneswahrnehmung: „Diese Ideen lassen sich auf ein weites Feld von Elektronik, Sensoren und Aktuatoren verallgemeinern, jenseits derjenigen, die wir explizit in dieser Studie aufzeigen.“

© Wissenschaft aktuell


 

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