Feindabwehr durch Körpergeruch

Raupen können das in Tabakblättern enthaltene Nikotin nutzen, indem sie es ausatmen und so räuberische Spinnen abschrecken
Wolfsspinne erbeutet eine Raupe des Tabakschwärmers (Manduca sexta).
Wolfsspinne erbeutet eine Raupe des Tabakschwärmers (Manduca sexta).
© Pavan Kumar
Jena - Tabakpflanzen produzieren Nikotin, um Fraßfeinde abzuwehren. Aber Raupen des Tabakschwärmers, eines Nachtfalters, tolerieren das Gift, das sie beim Fressen der Blätter aufnehmen. Und nicht nur das: Sie nutzen das Nikotin zur eigenen Verteidigung, berichtet eine deutsche Forschergruppe im Fachjournal „Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS)”. Die Raupen schützen sich vor Angriffen räuberischer Wolfsspinnen, indem sie einen Teil des Nikotins ausatmen. Freilandexperimente mit genetisch veränderten Tabakpflanzen ermöglichten es, diese ungewöhnliche Form der chemischen Feindabwehr aufzuklären.

„Unsere Ergebnisse decken einen Mechanismus auf, durch den Raupen des Tabakschwärmers Manduca sexta die Nikotinkonzentration in ihrem Blut und der ausgeatmeten Luft erhöhen können”, schreiben Ian Baldwin und Kollegen vom Max-Planck-Institut für Chemische Ökologie in Jena. Die Forscher ermittelten die Überlebensraten der Raupen unter natürlichen Bedingungen in der Great Basin Wüste in Utah. Dort ernähren sich die Insektenlarven von den nikotinhaltigen Blättern der wild wachsenden Tabakpflanze Nicotiana attenuata. Beim Befall von genetisch veränderten Pflanzen mit nur geringem Nikotingehalt, wurden die Raupen häufiger Opfer der nachtaktiven Wolfsspinne Camptocosa parallela. Laborexperimente bestätigten den Verdacht, dass diese Spinne Raupen meidet, die sich von Pflanzen mit hohem Nikotingehalt ernährt hatten. Die Raupen mussten also fähig sein, das Nikotin irgendwie für ihre Verteidigung zu nutzen.

Aus früheren Untersuchungen war bekannt, dass bei nikotinreicher Kost im Darm der Raupen vermehrt ein Enzym gebildet wird, ein sogenanntes Cytochrom P450. Um dessen Funktion aufzuklären, blockierten die Biologen dieses Enzym durch einen molekularbiologischen Trick: Sie veränderten das Erbgut der Tabakpflanze so, dass die Zellen eine ganz spezielle Ribonukleinsäure (RNA) produzierten. Wurde diese mit der Blattmahlzeit von den Raupen aufgenommen, verhinderte die RNA die Produktion des Cytochroms. Als Folge davon versagte die chemische Feindabwehr. Selbst bei hoher Nikotinzufuhr, ließen sich die Wolfsspinnen nicht mehr abschrecken.

Die Erklärung dafür lieferten weitere Untersuchungen. Das Cytochrom bewirkt offenbar, dass ein kleiner Teil des normalerweise mit der Nahrung aufgenommenen Nikotins aus dem Darm in die Hämolymphe, das Blut der Insekten, gelangt. Je höher die Konzentration an Nikotin im Blut ist, desto mehr davon geben die Raupen über ihre Atemlöcher an die umgebende Luft ab. Diesen Nikotingeruch nehmen die Wolfsspinnen bei der Annäherung an die Beute wahr und lassen vom Angriff ab. Ist das Cytochrom inaktiviert, wird das gesamte Nikotin mit dem Kot ausgeschieden und kann nicht mehr ausgeatmet werden, um Feinde abzuschrecken.

Die Forscher vermuten, dass das Cytochrom P450 Teil eines Enzymkomplexes ist, der zunächst das Nikotin im Darm chemisch verändert, dann ins Blut transportiert und sofort wieder in die Ausgangssubstanz umwandelt. Danach kann das leicht flüchtige Alkaloid in die Tracheen und über die Atemlöcher schließlich nach außen gelangen. In dieser Arbeit sei es gelungen, so die Autoren, die unbekannte Funktion eines Enzyms auf ungewöhnliche Weise aufzuklären – nämlich durch Beobachtung eines je nach Aktivität des Enzyms veränderten Beutefangverhaltens. Inwieweit der von den Raupen erzeugte Nikotingeruch auch gegen andere Feinde wie Ameisen und parasitische Wespen wirksam ist, müssen weitere Forschungsarbeiten zeigen.

© Wissenschaft aktuell


 

Home | Über uns | Kontakt | AGB | Impressum | Datenschutzerklärung
© Wissenschaft aktuell & Scientec Internet Applications + Media GmbH, Hamburg