Evolution der menschlichen Intelligenz: Elterliche Fürsorge als treibende Kraft

Ein Computermodell und ein Vergleich verschiedener Primatenarten zeigen: Je hilfloser das Neugeborene, desto größer die Intelligenz der Erwachsenen
Bei Gibbons dauert die Entwöhnungszeit nur etwa halb so lang wie bei Schimpansen.
Bei Gibbons dauert die Entwöhnungszeit nur etwa halb so lang wie bei Schimpansen.
© Shutterstock, Bild 96851437
Rochester (USA) - Im Verlauf der menschlichen Evolution ist das Gehirn stark gewachsen und hat seine Leistung enorm gesteigert. Zu den treibenden Kräften dieser Entwicklung zählte zum Beispiel, dass die sprachliche Kommunikation und andere soziale Fähigkeiten immer wichtiger wurden. Von großer Bedeutung waren sicherlich auch Werkzeuggebrauch und Jagdtechnik sowie eine bessere Ernährung durch Nutzung des Feuers. Doch diese Tatsachen allein wären keine ausreichende Erklärung, behaupten jetzt zwei amerikanische Hirnforscher. Im Fachjournal „Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS)“ präsentieren sie eine Theorie, nach der die Entwicklung der menschlichen Intelligenz auf einem einzigartigen evolutionären Rückkopplungsmechanismus beruht: Damit das Gehirn stärker wachsen konnte, mussten die Menschen bereits in einem sehr unreifen Stadium geboren werden, so dass die Größe des Kopfes die Geburt nicht erschwert. Aber je hilfloser ein Neugeborenes ist, desto mehr Intelligenz müssen die Eltern aufbringen, um sein Überleben sicherzustellen. Die vorgezogene Geburt und die höheren intellektuellen Anforderungen der elterlichen Fürsorge wären demnach die Elemente eines sich selbst verstärkenden Evolutionsprozesses. Bei mehreren Arten von Primaten besteht zwischen der Hilflosigkeit der Neugeborenen und der Intelligenz der Erwachsenen in der Tat ein enger Zusammenhang, der die Theorie der Autoren unterstützt.

„Die Dynamik unseres Modells erklärt, wie sich ein extrem hohes Intelligenzniveau entwickelt haben könnte, ohne dass dazu ein zusätzlicher äußerer Selektionsdruck nötig gewesen wäre“, schreiben Steven Piantadosi und Celeste Kidd von der University of Rochester. Die Trends zu einem größeren Gehirn und einem immer früheren Geburtstermin würden sich gegenseitig verstärken und die Selektion beider Merkmale beschleunigen. Das Computermodell zeige, dass es prinzipiell möglich wäre, die Evolution der menschlichen Intelligenz allein durch die Vorteile einer verkürzten Schwangerschaft für die spätere Hirnentwicklung zu erklären. Dieser Vorstellung zufolge hätten sich die vielfach ausgeprägten kognitiven Fähigkeiten des Menschen gewissermaßen als Begleitumstände bei der Selektion einer intensiven Säuglingsfürsorge entwickelt. Unter realen Bedingungen haben sicherlich mehrere weitere Faktoren diesen Prozess unterstützt.

Zur Überprüfung ihrer Theorie sammelten die Forscher Daten von 23 Primatenarten, darunter Menschenaffen, Makaken und Lemuren. Als Maß für die Unreife der Neugeborenen diente die Zeit bis zur Entwöhnung. Die Hirngröße und Messungen kognitiver Fähigkeiten lieferten Angaben zur Beurteilung der Intelligenz. Tatsächlich stiegen die ermittelten Intelligenzwerte mit zunehmender Entwöhnungsdauer an. Auf die Frage, warum sich nicht auch bei Insekten, Reptilien oder Fischen höhere Stufen der Intelligenz entwickelt hätten, gebe es den Autoren zufolge nun eine einfache Antwort: Der hier vorgestellte Mechanismus der Evolution funktioniert nur bei lebendgebärenden Spezies. Denn nur wenn es einen Geburtsvorgang des noch nicht voll entwickelten Kindes gibt, kann es zu einer Verbindung zwischen Kopfgröße und Schwangerschaftsdauer kommen. Bei eierlegenden Lebewesen wäre dies ausgeschlossen.

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