Evolution: Schlechter Schlaf im Alter schützte vor Gefahr in der Nacht

Bei Jägern und Sammlern lebten alte und junge Menschen mit unterschiedlichen Schlaf-Wachzeiten zusammen, so dass nachts nie alle gleichzeitig schliefen
Im Freien schlafender Mann aus dem Volk der Hazda
Im Freien schlafender Mann aus dem Volk der Hazda
© David Samson
Durham (USA) - Der tägliche Schlaf-Wach-Rhythmus verändert sich im Lauf des Lebens: Jüngere Menschen sind meist bis in die späten Nachtstunden aktiv und am frühen Morgen noch müde. Die Älteren dagegen gehen eher zeitig schlafen und sind oft schon vor Tagesanbruch wieder wach. Dass es so unterschiedliche „Chronotypen“ gibt, könnte sich in der menschlichen Evolution als vorteilhaft erwiesen haben, berichtet jetzt ein internationales Team von Anthropologen. Beim tansanischen Volk der Hadza, die noch heute als Jäger und Sammler leben, haben sie sehr unterschiedliche Schlafzeiten der Mitglieder einer Gruppe festgestellt. Während der Nacht war immer mindestens einer wach und damit bereit, die anderen vor möglichen Gefahren zu warnen, schreiben die Forscher im Fachblatt „Proceedings of the Royal Society B“. Die Wächterfunktion von Nachtschwärmern, Frühaufstehern und unruhigen Schläfern hat es vielleicht den frühen Menschen auch ermöglicht, von den positiven Auswirkungen einer ausreichenden Schlafdauer auf Gedächtnis und Lernfähigkeit zu profitieren.

„Viele ältere Menschen klagen darüber, dass sie in der Nacht oft aufwachen und nicht wieder einschlafen können“, sagt Charles Nunn von der Duke University in Durham, einer der leitenden Wissenschaftler. „Vielleicht sollten wir das nicht als Schlafstörung betrachten, sondern als Relikt aus einer früheren Phase unserer Evolution, in der dieses Verhalten von Vorteil war.“ Der für Mensch und Tier lebenswichtige Schlaf erhöht das Risiko, in dieser Zeit zur Beute von Raubtieren oder von bedrohlichen Umwelteinflüssen überrascht zu werden. Der sogenannten Wächter-Hypothese zufolge teilen sich in Gruppen lebende Tiere die Aufgabe, während des Schlafes wachsam zu sein: Einige wenige bleiben wach und melden eine Bedrohung, so dass die anderen ohne Gefahr schlafen können.

Nunn und seine Kollegen wollten herausfinden, wie sich Menschen in früheren Zeiten vor nächtlichen Gefahren geschützt haben könnten. Dazu dokumentierten sie den Schlaf-Wach-Rhythmus der Hadza, die in Gruppen von 20 bis 30 Menschen leben. Deren traditionelle Lebensweise in Tansania ähnelt wahrscheinlich den Lebensbedingungen der Menschen, bevor sie sesshaft wurden. Es erklärten sich 33 Männer und Frauen im Alter zwischen 20 und 60 Jahren bereit, an der Untersuchung teilzunehmen. Dabei zeichnete ein Aktometer, das wie eine Armbanduhr getragen wird, 20 Tage lang alle Bewegungen während der Nacht auf. Der Tagesrhythmus der Hadza wird noch nicht durch künstliche Beleuchtung und andere moderne Technik beeinflusst.

Die Probanden legten sich im Schnitt um 22 Uhr schlafen und wachten um 7 Uhr auf. Das Schlafverhalten jedes Einzelnen innerhalb einer Gruppe war aber ganz und gar nicht synchronisiert, sondern individuell sehr unterschiedlich. Einige wachten auch nach dem Einschlafen mehrmals auf und verließen vorübergehend ihre Schlafstelle. Während der insgesamt 220 Stunden der aufgezeichneten Überwachungszeit gab es nur 18 Episoden von jeweils einer Minute, in der alle Gruppenmitglieder gleichzeitig schliefen. Zu jedem nächtlichen Zeitpunkt war durchschnittlich ein Drittel der Gruppe aktiv oder in nur leichtem Schlaf. Dieser Anteil würde sich noch erhöhen, wenn Kranke und Kinder miterfasst worden wären. Niemand klagte über Schlafprobleme.

Die Ergebnisse erklären, warum die Hadza in der Regel keine Wächter für ihr Nachtlager brauchen: Das ist einfach nicht nötig, weil sowieso immer jemand wach ist. Die Forscher nennen ihre neue Theorie „Hypothese der schlecht schlafenden Großeltern“. Ihr zufolge erhöht insbesondere das Zusammenleben mit der älteren Generation, die oft einen zeitlich vorgeschobenen, kürzeren und unterbrochenen Schlaf hat, die Sicherheit der Gruppe in der Nacht. Daher hatten einst möglicherweise solche Menschengruppen einen Überlebensvorteil, deren Mitglieder sich in ihren Schlaf-Wach-Rhythmen stark unterschieden. Im Falle der Hadza funktioniert dieses Prinzip nur, wenn die Gruppe eine Mindestgröße von etwa zwölf Personen hat. Wenn zum Beispiel südafrikanische San mehrere Tage zu dritt unterwegs sind, erzählen die Autoren, muss nachts immer einer Wache halten.

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