Empathiefähigkeit zum Teil angeboren

Jetzt nachgewiesene genetische Unterschiede könnten auch erklären, warum Frauen die Gefühle anderer Menschen besser erkennen können als Männer
Die Augenpartie erlaubt Rückschlüsse auf das emotionale Befinden eines Menschen.
Die Augenpartie erlaubt Rückschlüsse auf das emotionale Befinden eines Menschen.
© Christian Hoffmann / Creative-Commons-Lizenz (CC BY-SA 4.0), https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de
Cambridge (Großbritannien)/Paris (Frankreich) - Besonders empathische Menschen können Gefühle und Absichten eines anderen mit großer Sicherheit an dessen Augen ablesen. Darauf beruht ein spezieller Augentest zur Messung kognitiver Empathie. Die Aufgabe der Testperson besteht darin, mehreren Fotos von Augenpaaren bestimmte Eigenschaften wie misstrauisch, sympathisch, dominant oder zufrieden zuzuordnen. Mit Hilfe dieser Methode und Erbgutanalysen hat ein internationales Forscherteam jetzt in der bisher größten Studie dieser Art untersucht, wie stark die Empathiefähigkeit von den Genen beeinflusst wird. Unter anderem wurde dabei im weiblichen Erbgut ein Gen unbekannter Funktion identifiziert, das für das bessere Abschneiden von Frauen im Augentest verantwortlich sein könnte. Außerdem ergab sich ein Zusammenhang zwischen Empathie und anderen geistigen Fähigkeiten sowie dem Risiko, an Magersucht zu erkranken, berichten die Wissenschaftler im Fachblatt „Molecular Psychiatry“.

„Unsere Ergebnisse tragen dazu bei zu verstehen, warum es individuelle Unterschiede in der Fähigkeit zur kognitiven Empathie gibt“, sagt Simon Baron-Cohen von der University of Cambridge. Man sollte aber nicht vergessen, dass es neben den genetischen Einflüssen auch wichtige soziale Faktoren wie frühkindliche Erfahrungen gebe, die für die Entwicklung von Empathie von Bedeutung sind, ergänzt Thomas Bourgeron von der Université Paris Diderot, der zusammen mit Baron-Cohen die Studie leitete. Die Forscher werteten Daten von 88.000 Männern und Frauen aus, deren Genome vom amerikanischen Biotechnologieunternehmen 23andMe in Mountain View vollständig analysiert worden waren. Der vom britischen Forscherteam entwickelte Augentest („Reading the Mind in the Eyes“-Test) lieferte für jeden Teilnehmer einen Messwert der Empathiefähigkeit, wobei für jede richtige Antwort ein Punkt – maximal 36 Punkte – erzielt werden konnte.

Es bestätigte sich zunächst, dass Frauen empathischer sind als Männer. Die Erblichkeit des Merkmals war für beide Geschlechter gleich stark ausgeprägt: Die Höhe der erreichten Punktzahl im Augentest ließ sich zu 5,8 Prozent auf bestimmte genetische Merkmale zurückführen. Eine zusätzliche Auswertung von Daten einer Gruppe von 1500 ein- und zweieiigen Zwillingen ergab mit einer Erblichkeit des Empathievermögens von 28 Prozent ein noch deutlicheres Ergebnis. Im weiblichen Genom, nicht bei den Männern, fanden die Forscher außerdem auf dem Chromosom 3 einen DNA-Abschnitt, der eng mit der Empathiefähigkeit verbunden war. Es gibt Hinweise darauf, dass dadurch ein Gen beeinflusst wird, das in der Hirnregion des Striatums besonders aktiv ist.

Die Forscher entdeckten auch andere Zusammenhänge: So erwies sich das Risiko, an Magersucht zu erkranken, als umso höher, je besser das Ergebnis im Augentest war. Eine Erklärung dafür gibt es noch nicht. Ein Zusammenhang des Empathiewertes mit autistischen Störungen war nicht nachweisbar. Stark empathische Personen hatten im Schnitt einen höheren Schulabschluss und einen höheren IQ. Wie sich die identifizierten genetischen Merkmale auf Hirnaktivitäten auswirken, die für die Empathiefähigkeit relevant sind, soll nun in weiteren Arbeiten geklärt werden.

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