Doch kein Mangel an Dunkler Materie

Neue Untersuchungen unserer kosmischen Umgebung deuten entgegen anderslautender Meldungen auf mindestens so viel Dunkle Materie wie theoretisch erwartet
Hochaufgelöste Simulation der Milchstraße
Hochaufgelöste Simulation der Milchstraße
© S. Garbari et al. / Universität Zürich
Zürich (Schweiz) - Wenige Dinge, von deren Existenz wir wissen, sind so mysteriös und wissenschaftlich umstritten wie die Dunkle Materie. Es gibt im Weltall einen rund fünffach größeren Anteil an Dunkler Materie als an gewöhnlicher Materie, aus der wir bestehen. Trotzdem ist sie nicht sichtbar, sondern verrät sich nur durch ihre Schwerkraft, indem sie Galaxien schneller rotieren lässt als erwartet. Einige Astrophysiker schlagen hierfür auch alternative Erklärungen vor, die auf die Existenz Dunkler Materie verzichten. Die meisten gehen aber davon aus, dass – in Wissenschaftlerjargon ausgedrückt – im kosmischen Maßstab die Annahme der Existenz der Dunklen Materie eine plausible Hypothese ist. Wie sich die Dunkle Materie im kleineren Maßstab verteilt, ist allerdings ungeklärt. Dieses Jahr gingen Forschungsergebnisse durch die Presse, die auf einen Mangel an Dunkler Materie in unserer Nachbarschaftsregion in der Milchstraße hinwiesen. Die Annahmen, auf denen diese Ergebnisse beruhten, wurden jedoch bereits mehrfach von anderen Forschern kritisiert. Jetzt haben Züricher Forscher in den „Monthly Notices of the Royal Astronomical Society” eine Studie vorgestellt, derzufolge in der Milchstraße und in unserer Umgebung doch kein Mangel an Dunkler Materie herrscht.

„Wir mussten Daten aus der Literatur sehr genau analysieren und die Entfernungsmessungen zwischen den Sternen neu kalibrieren“, teilt Hauptautorin Silvia Garbari mit. Denn die Bestimmung der Dunklen Materie ist kein leichtes Geschäft. Viele Sterne müssen vermessen, ihr Ort und ihre Geschwindigkeit genau bestimmt werden. Die Daten werden mit theoretischen Berechnungen verglichen und daraus schließlich eine grobe Verteilung der Dunklen Materie bestimmt.

Das Züricher Team hat nun eine besonders präzise Technik entwickelt, um die Verteilung an gewöhnlicher und Dunkler Materie zu bestimmen. „Wir haben eine Galaxie wie die Milchstraße in hoher Auflösung und nach dem neuesten Stand der Technik simuliert und mit verschiedenen Datensätzen überprüft“, so Garbari weiter. Mit derart umfangreichen Berechnungen wächst aber nicht nur die Sicherheit, nichts übersehen zu haben, sondern es wachsen auch die Fehlerbalken. In weniger detailreichen Modellen stecken nämlich vereinfachende Annahmen, die die Fehlerbalken schrumpfen lassen. Dennoch stellten die Züricher Forscher mit 99-prozentiger Sicherheit fest, dass in unserer galaktischen Nachbarschaft doch Dunkle Materie vorhanden ist. Und mit immerhin noch 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit konnten sie ermittelten, dass nicht nur so viel Dunkle Materie wie durchschnittlich zu erwarten, sondern sogar zwei- bis dreimal so viel vorhanden ist. Dies könnte darauf hindeuten, dass die Dunkle Materie sich ähnlich wie die sichtbaren Sterne in der galaktischen Scheibe konzentriert und keine kugelförmige Ausdehnung hat.

Sollten sich die Ergebnisse durch andere Studien bestätigen lassen, wäre dies wiederum eine sehr gute Nachricht für einige andere Forschergruppen in unterirdischen Laboren. Dort, in den Schächten stillgelegter Minen und hervorragend abgeschirmt vor der durchdringenden kosmischen Strahlung, arbeiten Spezialisten mit ultrasensiblen Experimenten daran, doch einmal ein Teilchen der Dunklen Materie nachweisen zu können. Es gibt verschiedene Theorien, die Dunkle Materie mit unterschiedlichen Eigenschaften vorhersagen. Sollte die Dunkle Materie wirklich nur allein über ihre Schwerkraft mit unserer gewöhnlichen Materie wechselwirken, wäre jeder Versuch eines direkten Nachweises vergeblich. Es gibt aber auch Modelle, die Dunkle Materie als so etwas ähnliches wie die durchdringenden Neutrinos auffassen, die schlicht deswegen so schwer zu messen sind, weil sie nur extrem selten mit Atomen kollidieren wollen und quer durch hundert Erden fliegen können ohne den geringsten Effekt. Falls also in unserer kosmischen Nachbarschaft Dunkle Materie existiert, und dazu noch gehäuft, können ihre Jäger auf Erfolg hoffen, auch wenn die Messungen enorm schwierig sind. Ein direkter Nachweis von Dunkler Materie wäre gewiss ein weiterer Meilenstein der Elementarteilchenphysik. Hätte sich hingegen die Nachricht vom Mangel an Dunkler Materie bestätigt, wären die Jagd von Anfang an schwieriger oder zum Scheitern verurteilt gewesen.

© Wissenschaft aktuell
Quelle: „A new determination of the local dark matter density from the kinematics of K dwarfs “, Silvia Garbari et al.; Monthly Notice of the Royal Astronomical Society, DOI: 10.1111/j.1365-2966.2012.21608.x

Siehe auch:

„On the local dark matter density”, Jo Bovy, Scott Tremainehttp://adsabs.harvard.edu/abs/2012arXiv1205.4033B

„Determining the velocity dispersion of the thick disc”, Jason Sandershttp://arxiv.org/abs/1205.5397



 

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