Die Menge macht’s: Protein beeinflusst Sprachfähigkeit von Jungs und Mädchen

Studie zeigt erstmals die Ursache für unterschiedliches kommunikatives Geschickder Geschlechter
Verlieren Rattenmütter ihre Jungen aus den Augen, helfen die von den Babies erzeugten Laute, sie wiederzufinden
Verlieren Rattenmütter ihre Jungen aus den Augen, helfen die von den Babies erzeugten Laute, sie wiederzufinden
© Bowers et al., The Journal of Neuroscience
Baltimore (USA) - Die meisten Erzieher und Eltern können aus eigener Erfahrung bestätigen, was viele Studien bereits belegt haben: Mädchen lernen oftmals schneller sprechen und nutzen früher ein komplexeres Vokabular als Jungs. Bei den Babys von Nagern ist dies jedoch genau umgekehrt, dort sind die Männchen kommunikationsstärker. Die männlichen Jungtiere produzieren bei ihnen auffälligere Laute und gewinnen dadurch schneller die Aufmerksamkeit ihrer Eltern als der weibliche Nachwuchs. Verantwortlich für die kommunikativen Fähigkeiten ist aber beim Mensch und bei den Tieren das Protein Foxp2, welches eine zentrale Rolle sowohl bei der Sprachentwicklung des Menschen auch bei der Lautproduktion von Vögeln und Säugetieren spielt. Wie amerikanische Forscher nun herausgefunden haben, weisen bei Nagern männliche Babys größere Mengen dieses Proteins im Gehirn auf. Beim Menschen hingegen konnte bei den Mädchen eine höhere Konzentration nachgewiesen werden. Damit sei zum ersten Mal gezeigt worden, wo sowohl beim Menschen als auch bei vielen Tieren die biologische Ursache für geschlechtspezifische Unterschiede in der Kommunikationsfähigkeit zu finden ist, schreiben die Wissenschaftler im Fachblatt „The Journal of Neuroscience“.

„Effektive Kommunikation zwischen Artgenossen ist grundlegend für das Überleben sowohl des Individuums als auch der ganzen Art“, sagt J. Michael Bowers von der University of Maryland School of Medicine. Dass die Äußerungen je nach Geschlecht jeweils verschieden sind, sei zwar schon länger bekannt. Ein Großteil der bisherigen Forschung hätte sich damit jedoch vor allem im Zusammenhang mit dem Anlocken von Geschlechtspartnern oder der Revierverteidigung befasst, schreiben Bowers und seine Kollegen. Ihre Studie nun unterstreicht, wie wichtig die kommunikativen Fähigkeiten auch für die Verständigung zwischen Eltern und Nachwuchs sind.

Die Forscher untersuchten dafür das Level des Foxp2-Proteins im Gehirn vier Tage alter männlicher und weiblicher Rattenbabys und verglichen deren Reaktion auf die Trennung von der Mutter. Wenn Jungtiere allein gelassen werden, produzieren sie Laute im Ultraschallbereich und erleichtern so ihre Rettung durch die Mutter. Im Experiment zeigte sich, dass die männlichen Nagerbabys während der Trennung von den Artgenossen beinahe doppelt so viele Laute produzierten wie die gleichaltrigen Weibchen und letztlich viel mehr Lärm verursachten. Ihre Hilferufe waren dabei leiser und tiefer. Offenbar motivierte dieser Unterschied die Nagermutter, den männlichen Nachwuchs schneller zu retten und in das Nest zurück zu bringen. Die Messung der Foxp2-Menge im Gehirn der Ratten zeigte bei den jungen Männchen ein wesentlich höheres Level des Proteins als bei den Weibchen.

Um den Einfluss von Foxp2 auf das kommunikative Verhalten der Ratten genauer zu beleuchten, reduzierten die Forscher anschließend das Level des Eiweißes bei den männlichen Jungen durch das Einschleusen eines kurzen Ribonukleinsäure-Moleküls (siRNA). Bei den Weibchen erhöhten sie so die Foxp2-Konzentration. Daraufhin kehrte sich die Lautproduktion beider Geschlechter um - die Weibchen klangen wie Männchen, die Männchen wie Weibchen. Die Mutter passte ihr Verhalten daraufhin an und rettete zuerst die weiblichen Jungtiere. Um die Korrelation zwischen der Foxp2-Kozentration und der Kommunikationsfähigkeit beim Menschen zu beleuchten, untersuchten die Wissenschaftler in einer Vorstudie das Gehirngewebe einer kleinen Gruppe vierjähriger Kinder. Hier war in der Kontrollgruppe der Jungen die Konzentration des Proteins in der Hirnrinde wesentlich höher als bei den gleichaltrigen Mädchen. Damit ist nachgewiesen, dass es auch beim Menschen einen Zusammenhang zwischen den sprachlichen Fähigkeiten und der Foxp2-Menge gibt. Frühere Studien hatten bereits gezeigt, dass Mutationen des dafür verantwortlichen Gens mit schwerwiegenden Sprachstörungen in Verbindung stehen.

Zudem zeigte sich, dass die geschlechtlichen Unterschiede der Foxp2-Menge sowohl bei den Tieren als auch beim Menschen nur solche Gehirnregionen betreffen, die mit höheren kognitiven Fähigkeiten in Zusammenhang stehen – unter anderem die Hirnrinde, den Thalamus und die Amygdala. In für die Fortpflanzung zuständigen Gehirnarealen zeigten sich dagegen keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern. „Diese Studie weist als eine der ersten Untersuchungen geschlechtliche Differenzen in der Produktion eines Proteins nach, welches bei Menschen und Tieren die Kommunikation steuert“, sagt Bowers. Dies lasse vermuten, dass Differenzen zwischen den Geschlechtern auf neuronaler und verhaltensbiologischer Ebene stärker und früher Einfluss nehmen als bisher gedacht, so die Autoren.

© Wissenschaft aktuell


 

Home | Über uns | Kontakt | AGB | Impressum | Datenschutzerklärung
© Wissenschaft aktuell & Scientec Internet Applications + Media GmbH, Hamburg