Demenzrisiko: Vollnarkose schadet offenbar doch

Ergebnisse einer neuen Studie, die für einen ursächlichen Zusammenhang sprechen, stehen im Widerspruch zu Resultaten einer früheren Studie
Die Bildung der für die Alzheimer-Demenz typischen „senilen Plaques“ im Gehirn könnte durch Vollnarkose begünstigt werden.
Die Bildung der für die Alzheimer-Demenz typischen „senilen Plaques“ im Gehirn könnte durch Vollnarkose begünstigt werden.
© User:KGH (Wikimedia Commons) / Creative Commons (CC BY-SA 3.0), http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de
Barcelona (Spanien) - Operationen unter Vollnarkose sind für ältere Menschen oft mit einer Nebenwirkung verbunden: Sie leiden vorübergehend unter Gedächtnisstörungen. Schwerwiegender ist aber die Furcht vor Langzeitschäden. Denn einige Narkosemittel können Entzündungsreaktionen im Gehirn auslösen und Ablagerungen verursachen, die für die Alzheimer-Demenz typisch sind. Eine kürzlich veröffentlichte Studie hatte jedoch keine Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Narkose und Demenzrisiko geliefert. Dagegen berichten jetzt französische Forscher auf der Jahrestagung der European Society of Anaesthesiology in Barcelona, dass für über 65-Jährige das Demenzrisiko schon nach nur einer Vollnarkose deutlich steigt. Unterschiede in Konzeption der Studien und Alter der Probanden könnten für die widersprüchlichen Ergebnisse verantwortlich sein.

„Für ältere Menschen, bei denen nach einer Operation kognitive Störungen auftreten, sollten über einen längeren Zeitraum Kontrolluntersuchungen eingeplant werden“, sagte Francois Sztark von der Université Bordeaux Segalen. An seiner prospektiven Studie nahmen etwa 7.000 Menschen im Alter von über 65 Jahren teil, die noch keine Anzeichen einer Demenz zeigten. Im Abstand von zwei bis drei Jahren führten die Forscher Gedächtnistests durch. Außerdem gaben die Teilnehmer dann jeweils an, ob sie seit dem letzten Test unter Vollnarkose oder örtlicher Betäubung behandelt worden waren. Innerhalb von acht Jahren erkrankten 632 Personen an einer Demenz; in 284 Fällen handelte es sich dabei wahrscheinlich um die Alzheimer-Krankheit. Die statistische Auswertung ergab: Das Demenzrisiko erhöht sich nach mindestens einer Vollnarkose um 35 Prozent. Andere Einflussfaktoren wie sonstige Krankheiten und Bildungsstand wurden berücksichtigt.

Zum gegenteiligen Ergebnis war eine sogenannte retrospektive Fall-Kontroll-Studie amerikanischer Forscher der Mayo Clinic in Rochester gekommen. Sie hatten 877 über 45-jährige Patienten ausgewählt, bei denen in einem Zeitraum von zehn Jahren eine Demenz diagnostiziert worden war. In dieser Gruppe kamen Operationen unter Vollnarkose nach dem 45. Lebensjahr mit ähnlicher Häufigkeit vor wie bei einer Kontrollgruppe gleichaltriger geistig gesunder Menschen. Aus ihren Daten schlossen die Forscher, dass selbst mehrfache Vollnarkosen das Demenzrisiko nicht erhöhen.

Eine retrospektive Studie geht von bereits Erkrankten aus und vergleicht diese rückblickend mit ausgewählten gesunden Personen. Dagegen registriert man in einer prospektiven Studie Krankheitsfälle einer gesunden Ausgangsgruppe. Prospektive Studien eignen sich zwar generell besser, um Hinweise auf eine vermutete Kausalbeziehung zu liefern. Ein derartig widersprüchliches Ergebnis wie im vorliegenden Fall bedarf allerdings einer Erklärung.

© Wissenschaft aktuell
Quelle: „Exposure to general anaesthesia could increase the risk of dementia in elderly“, Francois Sztark et al.; Beitrag zur Jahrestagung der European Society of Anaesthesiology in Barcelona (http://www.sessionplan.com/esa2013/)
„Anesthesia and Incident Dementia: A Population-Based, Nested, Case-Control Study“, Juraj Sprung et al.; Mayo Clinic Proceedings, (http://www.mayoclinicproceedings.org/article/S0025-6196(13)00124-9/abstract)
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