Dauerstress durch Räuber verändert Kaulquappen-Körper

Ein anhaltend hoher Spiegel von Stresshormonen fördert das Schwanzwachstum, wodurch die Froschlarven ihren Feinden häufiger entwischen können
Als Reaktion auf eine ständige Bedrohung durch Räuber verstärkt sich das Schwanzwachstum der Waldfrosch-Kaulquappen.
Als Reaktion auf eine ständige Bedrohung durch Räuber verstärkt sich das Schwanzwachstum der Waldfrosch-Kaulquappen.
© Michael Benard
Ann Arbor (USA) - Wirbeltiere produzieren bei Gefahr vermehrt Stresshormone, welche Kampfbereitschaft oder Fluchtreaktionen auslösen. Kaulquappen dagegen reagieren in zwei Phasen: Die Nähe von Räubern lässt zunächst den Spiegel eines Stresshormons sinken. Das verringert die Bewegungen der Froschlarven, so dass sie weniger auf sich aufmerksam machen. Dauert aber die Bedrohung tagelang an, erhöht sich die Hormonproduktion, was ein verstärktes Wachstum des Schwanzes bewirkt. Diese Anpassung ermöglicht den Kaulquappen eine schnellere Flucht und verbessert langfristig ihre Überlebenschancen, berichten amerikanische Forscher im Fachblatt „Proceedings of the Royal Society B“.

„Das beweist erstmals, dass ein Stresshormon tatsächlich den Körperbau eines Tieres verändern kann und ihm dadurch hilft, in Gegenwart von Räubern zu überleben“, sagt Robert Denver von der University of Michigan in Ann Arbor. Die Untersuchungen seines Forscherteams an Kaulquappen des Waldfroschs (Rana sylvatica) weisen auf einen bisher unbekannten Mechanismus hin, durch den Umwelteinflüsse körperliche Veränderungen bewirken können. Als Maß für den Stresspegel der Larven ermittelten die Biologen den Gesamtgehalt an Corticosteron – einem Hormon, das beim Menschen dem Cortisol entspricht. Der Stresshormonspiegel der Kaulquappen war umso höher, je mehr Fressfeinde in ihrem Teich lebten. Zu diesen Räubern zählen Libellenlarven, Schwimmkäfer, Riesenwanzen und Molche.

Wenn die Froschlarven angegriffen werden, setzen sie einen Botenstoff frei. Dieses Alarmsignal warnt die Artgenossen vor der Gefahr. Laborexperimente ergaben nun, dass dieser Botenstoff nach vier Stunden den Stresshormonspiegel zunächst sinken lässt. Die Sofortreaktion bremst die Bewegungsaktivität der Tiere, so dass sie von Räubern weniger leicht erkannt werden. Hielten aber Bedrohung und Freisetzung von Alarmstoffen im Laboraquarium mehrere Tage lang an, erhöhte sich der Corticosteron-Spiegel der Kaulquappen deutlich. Dann veränderten die Tiere ihr Aussehen: Sie entwickelten einen kräftigeren Schwanz und einen kürzeren Rumpf. Das Gleiche erzielten die Forscher, wenn sie dem Wasser anstelle des Botenstoffs das Stresshormon hinzufügten. Wurde das Wasser dagegen mit einem Hemmstoff versetzt, der die Produktion von Corticosteron verhinderte, blockierte das die Wirkung des Alarmsignals auf den Körperbau. Die Bildung des Stresshormons ist also Voraussetzung für die körperliche Reaktion.

Wie weitere Experimente zeigten, wirkt das Stresshormon direkt auf das Schwanzgewebe ein und verstärkt dessen Wachstum. Das sei sehr überraschend, so Denver, da solche Hormone bei erwachsenen Wirbeltieren auf Dauer eher einen Verlust von Körpergewebe zur Folge haben. Schließlich bestätigten die Biologen, dass Kaulquappen mit kräftigen Schwänzen bei ständiger Bedrohung durch Libellenlarven mit größerer Wahrscheinlichkeit überlebten als diejenigen mit kleineren Schwänzen. Als Grund dafür vermuten sie die schnellere Fortbewegung und damit erfolgreichere Flucht vor den Feinden. Der Vorteil dieser Anpassung hat übrigens seinen Preis: Der dauerhaft hohe Spiegel an Corticosteron bremst das Wachstum der Kaulquappen.

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