Blaumeisen in der Stadt: Zu wenig Raupen für die Brut

Vogeleltern finden nicht genügend Schmetterlingsraupen als Nahrung für ihre Jungen, so dass nur ein kleiner Teil überlebt
Blaumeisen: Schlechte Ernährungslage für den Nachwuchs in der Stadt
Blaumeisen: Schlechte Ernährungslage für den Nachwuchs in der Stadt
© Christopher J. Pollock et al.; Scientific Reports, DOI: 10.1038/s41598-017-04575-y
Glasgow (Großbritannien) - Viele Singvögel zieht es in die Städte, da dort das Nahrungsangebot größer ist als im Wald. Trotzdem ist ihre Fortpflanzungsrate in Wohngebieten geringer als in freier Natur. Zumindest bei Blaumeisen liegt das an der schlechteren Qualität der Nahrung, mit der die Jungen gefüttert werden, bestätigen jetzt britische Biologen. Die Vogeleltern finden im Stadtgebiet deutlich weniger Raupen als für eine optimale Ernährung der Brut nötig wäre, schreiben die Forscher im Fachblatt „Scientific Reports“. Reste menschlicher Lebensmittel und Meisenknödel mögen für erwachsene Vögel üppige Futterquellen sein, zur Aufzucht der Jungen eignen sie sich nicht, was den geringen Bruterfolg erklärt.

„Wir sollten die Versorgung der Vögel mit Schmetterlingsraupen verbessern, indem wir weniger Insektizide einsetzen und in der Stadt einheimische Gewächse anpflanzen, die die Raupen mögen“, sagt Davide Dominoni von der University of Glasgow. „Der verringerte Bruterfolg wäre vermeidbar, wenn wir uns mehr um die Biodiversität in den Städten kümmern würden“, ergänzt Barbara Helm, ein Mitglied des Forscherteams. Blaumeisen zählen zwar nicht zu den bedrohten Vogelarten. Aber bei Stadtvögeln überleben viel weniger Nestlinge als in Populationen im Wald – vor allem bei generell ungünstigen Wetterbedingungen während der Brutsaison. So beobachteten die Biologen, dass in den Stadtparks Glasgows im Jahr 2015 durchschnittlich weniger als ein Junges pro Blaumeisengelege flügge wurde. In einem 40 Kilometer entfernten Nationalpark waren es dagegen mehr als fünf pro Nest.

Um den Ursachen für diesen drastischen Unterschied nachzugehen, platzierten die Forscher jeweils mindestens 40 Nistkästen an drei verschiedenen Standorten: in Glasgow, im Nationalpark und in Stadtrandgebieten. Sie statteten siebzehn Kästen mit Videokameras aus, die aufzeichneten, womit die Eltern ihre Jungen fütterten. In der Zeit von Ende April bis Mitte Juni ermittelten sie an allen Standorten mehrmals die Zahl der Insekten, die sie bei Stichproben auf Eichen, Buchen und Birken fanden. Die Analyse stabiler Isotope von Kohlenstoff und Stickstoff in Blutproben der Nestlinge und der erwachsenen Vögel lieferten Rückschlüsse auf Unterschiede in der Ernährung.

Im Stadtzentrum fanden sich auf den Bäumen sehr viel weniger Raupen als in Randbezirken und im Waldgebiet. Nur außerhalb der Stadt kam es zum natürlichen Anstieg der Raupenzahlen während der Fütterungsperiode – Voraussetzung für eine gesunde Ernährung der Brut. Die städtischen Vogeleltern flogen zwar öfter mit Futter zum Nistkasten und brachten insgesamt mehr Nahrung, doch sie versorgten die Jungen mit viel weniger Raupen als die Waldvögel. Je mehr Raupen die Nestlinge in der Stadt erhielten, desto höher war der Anteil der Brut, der überlebte und flügge wurde. Das Körpergewicht der Jungvögel und ihre Überlebensrate waren im Wald höher als an den anderen Standorten. Offenbar konnten die in der Stadt gefütterten Jungen einen Großteil der Nahrung gar nicht verwerten. Die Ergebnisse der Isotopenanalyse bestätigten die qualitativen Unterschiede in der Ernährung.

Der Zeitpunkt der Eiablage, die Gelegegröße, Bebrütungsdauer und Schlüpfrate unterschieden sich in Wald und Stadt nicht. Das spricht dafür, dass sich die Faktoren, die den Bruterfolg beeinflussen, erst nach dem Schlüpfen, also beim Füttern, auswirken. Die Forscher gehen davon aus, dass sich ihre Resultate auch auf andere Regionen und Vogelarten übertragen lassen. Die Städte könnten, so die Autoren, zu „ökologischen Fallen“ für Vögel werden: Das leicht verfügbare Nahrungsangebot lockt sie an, obwohl diese Umgebung mit gravierenden Nachteilen für die Fortpflanzungsrate verbunden ist. Es sei daher auch zu überdenken, ob Vogelfütterungen während der Brutzeit mehr schaden als nützen.

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