Biodiversität: Wettlauf gegen Artensterben könnte gewonnen werden

Forschertrio sieht Lage nicht so hoffnungslos, wie frühere Schätzungen befürchten ließen - Ganze Vielfalt zu katalogisieren sei machbar
Tiefsee-Hummer der Gattung Puerulus, der im Indischen Ozean häufig gefischt wird, aber von dem erst kürzlich klar wurde, dass er neu für die Wissenschaft ist
Tiefsee-Hummer der Gattung Puerulus, der im Indischen Ozean häufig gefischt wird, aber von dem erst kürzlich klar wurde, dass er neu für die Wissenschaft ist
© Tin-Yam Chan
Warkworth (Neuseeland) - Wie viele Arten den Globus bevölkern, ist bislang nicht geklärt. Schätzungen der Gesamtzahl gehen stets in die Millionen, variieren allerdings extrem. Bedroht wird das Unterfangen, ein möglichst vollständiges Bild von der Tier- und Pflanzenwelt der Erde zu erhalten, nicht zuletzt vom Aussterben gefährdeter Arten - und der Annahme, dass es immer weniger Taxonomen gibt, die sich mit der Einordnung von Arten in die Systematik beschäftigen. Schlimmste Befürchtungen gehen sogar so weit, dass unzählige Spezies von der Bildfläche verschwinden könnten, bevor sie überhaupt entdeckt und katalogisiert werden konnten. Ein internationales Forscherteam meint nun aber, so düster sehe es gar nicht aus. Es gebe weit weniger Arten zu entdecken als bislang angenommen und durchaus ausreichend Taxonomen, legen die Forscher in „Science“ dar.

„Die Zahl der Arten auf der Erde zu überschätzen ist kontraproduktiv, weil es dazu führen kann, dass Versuche, die ganze Vielfalt der Arten zu entdecken und zu erhalten, hoffnungslos scheinen“, warnt Mark Costello von der University of Auckland in Warkworth. Die Arbeit von ihm und seinen beiden Kollegen aus Australien und Großbritannien legt seines Erachtens aber nahe, dass die Lage alles andere als hoffnungslos ist. „Unsere Ergebnisse sind möglicherweise gute Neuigkeiten für den Erhalt der globalen Biodiversität. Wir denken, dass mit einer nur moderaten Ausweitung der Bemühungen in Taxonomie und Naturschutz die meisten Arten entdeckt und vor dem Aussterben bewahrt werden könnten.“

Frühere Annahmen über die Anzahl aller Spezies, die von 30 bis 100 Millionen reichen, sind neueren Erhebungen zufolge viel zu hoch gegriffen, argumentieren Costello, Nigel Stork von der Griffith University in Brisbane und Bob May von der University of Oxford. Sie gehen aufgrund der aktuellen Datenlage vielmehr von 5 plus/minus 3 Millionen Arten insgesamt aus – also 2 bis 8 Millionen Arten, von denen etwa 1,5 Millionen bereits bekannt und benannt sind. Stimmen diese Zahlen, bliebe gar nicht so extrem viel Neues zu entdecken wie bisher angenommen.

Außerdem sind die Aussterberaten ihres Erachtens längst nicht so hoch wie befürchtet. Sie liegen nicht bei fünf Prozent pro Jahrzehnt, wie manche Forscher veranschlagt haben. Realistischer ist eine Rate von weniger als einem Prozent. Darüber hinaus sind Taxonomen keineswegs Mangelware, führen Costello und seine Kollegen weiter aus. Aktuelle Datenbanken zeigen, dass es mehr Forscher mit diesem Spezialgebiet gibt als je zuvor und dass ihre Zahl schneller steigt als die Rate der Artenbeschreibung, schreiben sie. Vor allem in Gebieten wie Südamerika oder Asien, in denen die meisten unentdeckten Arten vermutet werden, gebe es durchaus genügend Spezialisten. Nicht zuletzt tragen auch zahlreiche Hobby-Taxonomen, die heutzutage weit besseren Zugang zu taxonomischem Fachwissen erlangen können als früher, mittlerweile viel zur Beschreibung neuer Arten bei. Mit entsprechender finanzieller Förderung sei das Ziel, innerhalb der nächsten 50 Jahre sämtliche Arten zu beschreiben, realisierbar. Die Kosten, schätzen Costello und seine Kollegen, würden sich auf 0,5 bis 1 Milliarde US-Dollar jährlich belaufen. Letzen Ende fraglich bleibt natürlich, ob tatsächlich jemals sämtliche Spezies der Erde entdeckt werden können. Zumindest Arten, die schon vor ihrer Entdeckung, Beschreibung und Benennung vom Erdball verschwanden, hätten kaum eine Chance, von Taxonomen bemerkt zu werden.

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